Aus der Ruhe in die Fülle
Bischöfin Kirsten Fehrs mit Uta und Dietrich Gerstner (Bild: copyright Ingrid v. Saldern)
Mehmet und Yunus, zwei Freunde, die wir schon aus den 90er-Jahren (!) kennen, bei unserem 15-Jahre-Fest
von Birke Kleinwächter / Dezember 2011
Die Brot & Rosen-Sabbatzeit ging im September Stück für Stück zu Ende. In verschiedenen Zimmern waren noch Renovierungen nötig. Dietrich Gerstner reiste mit der Flüchtlingspastorin Fanny Dethloff und StudentInnen zu einer Sommeruniversität auf Malta. Die ersten Gastanfragen liefen auf, aber erst am letzten September-Wochenende zog unser erster Gast ein:
Rolf, Rentner, seit Jahren ohne eigene Wohnung, konnte einige Tage bei uns wohnen und sich vor allem ausruhen, bevor er nun glücklich bei einem guten Freund mit wohnen kann.
An seinem Auszugstag zog unser erster Gast mit Fluchthintergrund ein. Für Flüchtlinge fühlen wir uns ja eigentlich zuständig. Mittlerweile haben wir schon sieben Menschen aus der Türkei, Kenia, Serbien, Afghanistan, Honduras und Somalia beherbergt bzw. beherbergen sie noch. Hinzu kommen Katarina und Fabian als Freiwillige und eine ganze Reihe von BesucherInnen aus Deutschland, den Niederlanden und England, viele von ihnen mit eigenen Gemeinschaftserfahrungen und –visionen.
Was sind unsere ersten Erfahrungen nach der Auszeit?
Wir sind froh, dass wir wieder mit Flüchtlingen zusammenleben. Unsere gegenwärtige Hausgemeinschaft ist prima. Alle sind hilfsbereit und freundlich. Wenn z.B. eine/r kochen muss, helfen bis zu vier Leute mit beim Vorbereiten. Einige besuchen zusammen Deutschkurse oder begleiten sich auf Wegen durch die Stadt. An den von uns angebotenen Veranstaltungen, Ostseeausflug, Laternelaufen, Requiem in der Jacobikirche, nehmen jedes Mal fast alle teil.
Wir üben uns darin, die Flüchtlinge in ihrer Eigenständigkeit zu stärken, d.h. zum Beispiel weniger stellvertretend für sie zu agieren im Außenkontakt mit Beratungsstellen, bei der Wohnungssuche etc.
Auch bei neuen Gastanfragen haben wir uns vorgenommen, nicht nur als Kerngemeinschaft (das sind die Deutschen, die ständig hier leben) darüber zu befinden, sondern auch die Hausgemeinschaft insgesamt in solche Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen.
Feiern und Erinnern
Zwei Großveranstaltungen liegen hinter uns: Erstens unser wunderschöner „15. Geburtstag“ Ende Oktober, den viele, viele Menschen mitfeierten. 15 Jahre Gastfreundschaft – dass das möglich sein konnte und kann, ist nicht zuletzt
unseren vielen und vielfältigen UnterstützerInnen zu verdanken. Es ist ein Leben in Fülle, für das wir dankbar sind!
Von der Fülle in die Ohnmacht, in die innere Leere – das war erneut das Erleben bei unserem alljährlichen Requiem für die Ertrunkenen im Mittelmeer, die Opfer der EU-Außengrenzen am Volkstrauertag in der Hauptkirche St. Jacobi. Wie lange werden die Menschen in unserem Land sich im Recht fühlen, so viel zu besitzen auf Kosten derjenigen, die sie aussperren? Wie lange noch wird auf Menschenrechten herumgetrappelt zur Sicherung unseres Besitzes? Dennoch enden diese Gottesdienste nie in Depression, sondern gemeinsam und gegenseitig richten wir uns auf und glauben an das Gute, Richtige und Wichtige in unserem Tun. „We shall overcome!“
Wie bewahren wir in diesem vollen, bunten und verlockenden Leben unsere Vorsätze aus der Sabbatzeit, langsamer zu machen, weniger mehr sein zu lassen, uns selber mit unseren Bedürfnissen, auch Grenzen, nicht zu vergessen? - Dies bleiben schätzungsweise dauerhafte Herausforderungen des Gemeinschaftslebens, egal wie sehr wir diesen Lebensstil schätzen.
Wie begrenzt unsere Möglichkeiten zu helfen auch sein mögen, wir fühlen uns in unserer Arbeit und unserem Leben reich beschenkt, durch unsere Gäste, durch unsere UnterstützerInnen. So möchten wir in unseren allgemeinen Dank an alle SpenderInnen und uns unterstützenden Kirchengemeinden einen ganz besonderen Dank an die neu gewählte Bischöfin der Nordelbischen Evangelisch- Lutherischen Kirche einflechten: Sie hat an ihrem 50. Geburtstag auf Geschenke verzichtet und stattdessen zu Spenden an uns aufgerufen. Dadurch wurden wir zu reich Beschenkten! Herzlichen Dank, liebe Kirsten Fehrs, und wir freuen uns, dass mit Ihnen eine Frau das Bischofsamt innehaben wird, die die Sache der Armen fest im Herzen und im Blick hat. Das braucht die Kirche, das braucht die Gesellschaft.