Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Ein schnelles Ende

Erstaufnahme für Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos

von Mirjam Oliva / Mai 2020

Mirjam Oliva ist in der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten und in Berlin aufgewachsen. Mehrere Monate lebte sie auf der griechischen Insel Samos und engagierte sich dort in der Solidarität für Geflüchtete. Wir drucken ihren letzten Bericht vom 28.3.20 gekürzt ab.

Hello! Hello!“, ruft eine Stimme aus dem Gebäude der Hafenpolizei hinter mir. Ich sitze auf einer Bank in der Sonne mit Blick aufs Wasser - umgeben von einer unge­wöhnlichen Geräuschkulisse: streitende Männer, lautes Lachen, schreie­nde Kinder. Die Geräusche mischen sich und hallen wider. Es klingt wie eine volle Bahnhofshalle – mit vergitterten Fenstern. Aber es ist keine Bahnhofshalle. Es ist ein Gefängnis für mehr als hundert Menschen, die seit Erdogans Grenzöffnung auf Samos ankamen. Die keinen Asylantrag stellen durften. ... Während in Europa täglich neue Maßnahmen beschlossen werden, um die Gefahr eines unkontrollierten Corona-Ausbruchs einzudämmen, wird in Griechenland das Völker- und Menschenrecht verletzt – ohne einen Aufschrei in den Medien auszulösen, die größtenteils von dem einen Thema dominiert werden: Corona. In Griechenland war es zu diesem Zeitpunkt bereits verboten, als Gruppe auf die Straße zu gehen. Schulen und Restaurants waren schon geschlossen. Aber es scheint eine Unterscheidung zu geben zwischen den eingesperrten Menschen auf engstem Raum und „UNS“. Zwischen den 7000 Menschen im überfüllten Camp und „UNS“. Auch wenn bisher keine Infektion bei einer Person in einem Camp auf den griechischen Inseln nachgewiesen wurde, ist die Angst groß. Wer schon mal im Krankenhaus von Samos gewesen ist, weiß, dass es nicht helfen wird, sollte Corona auf Samos ankommen, auch nicht den griechischen Inselbewohner*innen.

Eine Woche bevor die Corona-Panik kam, hatten wir noch ganz andere Sorgen. Ein Gefühl von Unsicherheit breitete sich aus angesichts der zunehmenden Gewalt gegenüber Geflüchteten und NGO-Mitarbeitenden. Aus Lesbos kamen erschreckende Nachrichten: Wütende Menschen, die Schlauchboote samt Besatzung wieder ins Wasser stoßen, Journalisten angreifen, NGO-Gebäude und Autos anzünden. Ob diese Gewalt von Rechtsextremen verübt wird oder von Menschen, die jahrelang von der EU alleingelassen wurden und ihre Insel so zurückerobert wollen, wurde in griechischen Medien diskutiert. 

Vonseiten der griechischen Regierung kamen immer schockierendere Maßnahmen, um Flüchtlinge in der Türkei von der Überfahrt abzuhalten: militärische Schießübungen an den Stränden, wo Schlauchboote ankommen; die griechische Küstenwache, die anstatt in Seenot geratene Menschen zu retten, sie in türkische Gewässer drängt; bis hin zur einmonatigen Aussetzung des Asylrechts und Inhaftierungen wegen illegalem Grenzübertritt. Ankommende Menschen wurden daher weder registriert noch in eines der Camps gebracht, sondern tagelang auf engstem Raum eingesperrt. Auf Lesbos wurden die Menschen in einem Kriegsschiff festgehalten.

Proteste gab es kaum. Zu groß war die Angst vor Rassismus und Gewalt. Viele NGOs unterbrachen die Arbeit – zur Sicherheit ihrer Mitarbeitenden.

Angesichts dieser Entwicklungen kam in meinem Deutschunterricht die Idee auf, einen Brief an den deutschen Bundespräsidenten zu schreiben. Ein paar Ausschnitte aus den Briefen geben euch einen Einblick, welche existenziellen Probleme viele Menschen im Camp beschäftigen.

Saleh aus Syrien lebt seit 7 Monaten im Camp von Samos. Er hat schon in Syrien einen Deutschkurs beim Goetheinstitut besucht, interessiert sich besonders für die deutsche Geschichte und möchte in der fernen Zukunft deutsche Tourist*innen durch Damaskus führen: „Hier zu leben ist sehr schwierig, weil die Flüchtlinge in kleinen Zelten wohnen, die bei Regen sehr kalt und bei sonnigem Wetter sehr heiß sind. Das Essen ist schlecht und wir müssen mehr als drei Stunden warten, um es zu bekommen. Es gibt keinen Strom und wenig Wasser. Hier gibt es auch viele schädliche Insekten und sie bieten uns keine medizinische Versorgung. Die griechischen Behörden und die Polizei gehen gewalttätig und streng mit uns um, auch die Einheimischen gehen rassistisch mit uns um. NGOs können der großen Anzahl von Flüchtlingen im Lager nicht helfen. Das Lager wurde für 600 Personen gebaut, aber jetzt hat es mehr als 7.500 Bewohner*innen. Wir brauchen Hilfe von Ihnen.“

Ezatullah lebt seit 5 Monaten im Camp von Samos, wo er seinen 18. Geburtstag gefeiert hat. Er kommt wie ein großer Teil der Geflüchteten aus Afghanistan: „Ich lebe im Dschungel in einem kleinen Zelt. Jedes Mal, wenn ich auf Toilette gehen oder duschen muss, muss ich ungefähr 20 Minuten zu den Containern gehen. Leider haben sie uns nicht erlaubt, sie kostenlos zu benutzen. Wir müssen 1 Euro bezahlen. Also gehen die Leute im Dschungel einfach zu einem anderen Ort, anstatt auf Toilette zu gehen... Es ist sehr schwer für Frauen. Und wenn wir Wasser haben wollen, müssen wir in der Schlange warten, um Wasser zu bekommen, manchmal ist es leer, wenn wir an der Reihe sind. Es gibt keinen Strom für Dschungel-Menschen. Wir gehen täglich zu einer NGO, um unser Telefon und kleine Lampen aufzuladen. Wenn wir unser Essen im Camp abholen möchten, müssen wir um 2 Uhr morgens aufstehen, um bis 8 Uhr morgens in der Schlange zu stehen. Meistens servieren sie die abgelaufenen Lebensmittel und die der letzten Tage. Die Polizei und Sicherheitskräfte im Lager sind sehr schlecht, jede Nacht wird im Lager gekämpft und die Polizei tut nichts. Es gibt nur eine Arztpraxis im Lager, um die Flüchtlinge zu untersuchen. Wenn sie also direkt einen aufsuchen müssen, ist dies überhaupt nicht möglich. Ähnlich verhält es sich mit dem Asyldienst. Wenn der Interviewtermin erreicht ist, sagen sie: „Wir rufen Sie bald an.“ Aber wir müssen sehr lang warten.“

Mohamed aus Guinea lebt seit 6 Monaten im Camp von Samos. Er hat im Alpha Center die Freude an Sprachen für sich entdeckt: Neben Deutsch hat er hier auch Griechisch und Englisch gelernt. Eigentlich ist Mohamed aber leidenschaftlicher Fußballspieler: „Wir sind Menschen. Wir träumen vom Leben. Auf dieser Flucht haben Einige ihr Leben verloren, hatten keine Chance, Europa mit eigenen Augen zu sehen und Zuflucht zu finden. Wir kommen hierher nach Europa, weil wir Gründe hatten. Wir sind Menschen, die gezwungen wurden, alles aufzugeben, was vom Krieg übrig geblieben ist. Wir sind Menschen, die wegen ihrer politischen Ansichten sterben sollten, weil sie Mitglied der politischen Opposition sein wollten. Wir möchten Sie und alle anderen Länder der hohen Werte um große Hilfe bitten. Wir schlafen in Zelten ohne Wasser, haben keine Heizung bei diesen kalten Temperaturen und ungesunde Toiletten. Wir Flüchtlinge in Samos leben in der Hoffnung, dass Sie über unsere Situation nachdenken.“

Orte, an denen geflüchtete Menschen ihre Probleme hinter sich lassen können, wurden ihnen von einem Tag auf den Anderen ohne Ankündigung genommen. Am 10. März hat Griechenland die Meldung veröffentlicht, dass ab sofort alle Schulen und Bildungszentren schließen müssen. Damit wurde auch das Alpha Center dicht gemacht – bis auf unbestimmte Zeit. Zunächst gab es eine große Unsicherheit unter den NGOs, wie mit der Situation umzugehen ist. Relativ schnell wurde deutlich, es wird nicht bei zwei Wochen bleiben und es ist am sichersten, wenn alle Aktivitäten eingestellt werden – sogar die Wäscherei, Kleiderausgabe und Rechtsberatung. Innerhalb weniger Tage schlossen alle NGOs – allein die medizinischen Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ sind geblieben und bereiten sich auf einen Corona-Ausbruch im Camp vor, der immer realistischer wird. Den wenigen verbliebenen NGOs und Journalist*innen wird die Arbeit zunehmend erschwert: Internationale wurden aufgefordert, heimzufliegen, bevor die Insel abgeriegelt wird. Und die Menschen im Camp? Mittlerweile wurde das Camp Moria auf Lesbos abgeriegelt und die Bewohner*innen aufgefordert, in ihren Zelten zu bleiben. Es gibt alarmierende Meldungen aus dem Camp – Sicherheitspersonal sei abgezogen, die Wasser- und Essensportionen seien reduziert worden. Gerade weil zurzeit kaum noch „internationale Beobachter*innen“ vor Ort sind, ist es schwer, die Richtigkeit dieser Nachrichten zu bestätigen. Es wurden bereits Menschen aus den Camps sowie die Eingesperrten aus dem Polizeigebäude in neue abgeriegelte Camps auf dem Festland gebracht, die teilweise noch im Bau sind.

Klar ist, dass die Camps evakuiert werden müssen. Es gibt bereits viele Appelle zur Evakuierung, u.a. von Ärzte ohne Grenzen, Amnesty und verschiedenen Prominenten. Allerdings schleicht sich mehr und mehr die Befürchtung ein, dass die griechische Regierung Corona für eigene politische Ziele nutzen wird. Jetzt können unter dem Vorwand der Isolierung die geschlossenen Camps endlich eröffnet werden, ohne Proteste zu verursachen, weil die Menschen zum einen selbst mit Corona beschäftigt sind und zum anderen nicht demonstrieren dürfen. Deshalb müssen WIR umso mehr verfolgen, was mit den Menschen in den Camps passiert und Druck erzeugen! Aber wie?

Angesichts dieser Frage kam eine Idee: Mein Bruder ... hatte den Vorschlag, dass wir eine Website erstellen, auf der wir einen Überblick geben, wie man von zuhause aus helfen kann. Unter folgendem Link könnt ihr ab sofort aktuelle News verfolgen, Petitionen unterzeichnen und NGOs, die noch vor Ort sind, finanziell unterstützen: https://helfenvomsofa.wordpress.com/

Ich bin mittlerweile auch wieder zurück in Deutschland. Es fiel mir schwer, nach acht Monaten unter diesen Umständen zu gehen. Durch die plötzliche Schließung konnte ich mich nicht von allen Leuten verabschieden, die ich in den letzten Wochen begleitet habe. Aber auch wenn ein Abschied stattfand, war er nicht leicht. „Was? Du gehst? Und wir? Was sollen wir ohne Alpha machen? Was passiert, wenn Corona hier ankommt?“ – die Angst, alleingelassen zu werden, war spürbar.

Was bleibt sind viele Fragen und Widersprüche: Wie sollen Menschen sich ihre Hände mit Seife waschen können, wenn sie nur schwer Zugang zu Wasser haben? Während in einem europäischen Land Klopapier gehortet wird, haben in einem anderen europäischen Land tausende Menschen kaum Zugang zu Toiletten. Dieses Unrecht besteht seit Jahren – jetzt wird es zu einer Katastrophe!

Was – trotz allem – bleibt, ist mein Deutschkurs. Seitdem ich in Deutschland bin, habe ich den Kurs online fortgesetzt. So bin ich mit meinen Schülern jeden Tag in Kontakt und sie freuen sich, dass etwas bleibt, das ihnen in den letzten Monaten Struktur und Sinn gegeben hat....

Der vollständige Bericht kann hier abgerufen werden.



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...