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Von Lesbos bis Calais

„No Border“-Camp von FlüchtlingsaktivistInnen auf Lesbos in der Nähe der Inselhauptstadt Mytillini Foto: Marily Stroux

Hütten, Matsch, Zelte – so leben Flüchtlinge an den Grenzen Europas, in Griechenland und hier in Calais. Foto: B. Krauß

Orthodoxe Kirche an Weihnachten im „Dschungel“ von Calais

von Benjamin Krauß / Juli 2016

...wachsende Zäune und Gastfreundschaft, die Mauern niederreißt!
Benjamin Krauß veröffentlichte diesen Artikel auf seinem Blog im Internet. Wir drucken ihn hier mit freundlicher Genehmigung. Ben-jamin studiert evangelische Theologie in Heidelberg und engagiert sich bei Christian Peacemaker Teams (www.cpt.org).

In den letzten Jahren sind aufgrund alter und neuer Kriege, aufgrund des Klimawandels und ungerechter Wirtschaftsbeziehungen immer mehr Menschen aufgebrochen, um in Europa ein Leben in Sicherheit und Wohlstand zu finden. Während früher die Nachrichten von Ertrunkenen unangenehm waren, aber verdrängt werden konnten, kann spätestens seit dem Sommer 2015 niemand mehr die Augen vor der Not der Menschen auf der Flucht verschließen und die Frage „Was sollen wir tun?“ drängt sich allen auf. Die Reaktionen sind vielfältig und in der medialen Repräsentation wechselhaft.

Im Sommer konnte man fast den Eindruck gewinnen, ganz Deutsch-land sagt „Refugees Welcome“, jetzt wirkt es, als ob es nur noch fremdenfeindliche Mobs gibt. Die Wirklichkeit ist natürlich komplexer, aber doch ist es auch ein Ringen um Deutungsmacht. Und die Macht der Deutung ist auch die Macht, die Zukunft zu formen.

Ich selbst beschäftigte mich seit 2014 intensiv mit der Situation von Flüchtlingen in Europa. In dieser Zeit hat sich vieles verändert. Es sind neue Kriege dazu gekommen, rechtliche Rahmen wurden erneuert, ausgesetzt und wiedereingeführt, Europa hat sich verändert, und auch ich habe mich verändert. In diesem Text versuche ich, einen Teil der Geschichten zu erzählen.

Christian Peacemaker Teams auf Lesbos

Im Sommer des Jahres 2014 begannen die christlichen Friedensstifter-Teams ein Projekt auf der griechischen Insel Lesbos, um Flüchtlinge und solidarische Gruppen zu begleiten.

Da Lesbos nur zehn Kilometer vor der türkischen Küste liegt, wagen viele Flüchtlinge hier die Überfahrt und betreten hier zum ersten Mal europäischen Boden.

Seit im Sommer 2012 die ersten größeren Gruppen von Flüchtlingen auf Lesbos ankamen, gründeten sich einheimische Gruppen wie etwa das “Dorf Aller Gemeinsam”, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen und sie zu beherbergen, bis sie weiterreisen können.

Sie gründeten das offene Lager PIKPA auf einem leer stehenden Campingplatz, wo Flüchtlinge unterkommen können, bis sie ihre Papiere erhalten. PIKPA ist sowohl praktische humanitäre Hilfe als auch eine provokative politische Alternative zu dem stacheldrahtbewehrten „First Reception Centre” in Moria: Es ist möglich, mit minimalen Ressourcen und ohne Gewalt Flüchtlinge unterzubringen und zu registrieren, indem man sie einfach als Menschen mit Würde behandelt.

Die Überforderung angesichts so vieler ankommender Menschen zwingt die Verwaltung Lesbos PIKPA zu unterstützen, da ohne solche zivilgesellschaftliche die offiziellen Instanzen komplett überfordert wären. Diese Situation konnten die Aktivisten dazu nutzen, die Verwaltung zur Übernahme der Kosten für Essensversorgung und sanitäre Anlagen zu bewegen.

In Kalloni hauchten ein orthodoxer Mönch und eine paar atheistische Marxisten einem alten Kloster neues Leben ein, indem sie dort durchkommende Flüchtlinge speisten und sie pflegten.

Trotz der erdrückenden Last der strengen Sparpolitik, Arbeitslosigkeit und einer aufsteigenden extremen Rechten entscheiden sich Einzelne und Gemeinschaften, die Fremden willkommen zu heißen und ihnen zur Seite zu stehen.

Als christlicher Friedensstifter fühle ich mich geehrt, sie zu unterstützen und unsere Erfahrungen in Begleitungsarbeit und Menschenrechtsbeobachtung einzubringen.

Von Lesbos nach Calais

Diesen Februar verbrachte ich zwei Wochen in Calais. Dort haben etwa fünftausend Flüchtlinge auf dem Weg nach England sich auf einer ehemaligen Müllhalde eine zeitweise Bleibe geschaffen, nachdem die Polizei sie von den verstreuten kleineren Camps vertrieben hatte. Dieser Ort wird von vielen nur der „Dschungel“ genannt.

Hunderte Freiwillige aus England und ganz Europa verwandelten gemeinsam mit den BewohnerInnen den „Dschungel“ von einer reinen Hölle auf Erden zu einem Ort, der sowohl hässlich als auch wunderschön ist und an dem menschliche Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wärme, Beziehung und Freiraum zumindest ansatzweise befriedigt werden können.

Leider sind die Einheimischen nicht so stark involviert wie in Lesbos und viele Flüchtlinge haben aufgrund der Gewalt rechtsextremer Banden und der Polizei Angst davor, nach Calais zu gehen.

Dennoch bilden sich auch Beziehungen und es gibt Menschen, die verstehen, dass zwar “niemand Flüchtlinge im eigenen Garten haben will, aber die Flüchtlinge wollen auch nicht da sein – sie haben nur keine Wahl”, wie Bruder Johannes vom ‚Mère Marie Skobtsova’-Catholic Worker Haus in Calais sagt.

Die Regionalpräfektur hat angekündigt und mittlerweile begonnen, das Camp zu räumen, ohne tragfähige Alternativen zu bieten. Rechtlicher Einspruch gegen diese Maßnahme war erfolglos. Die Regierung hängt der Illusion an, dass die Menschen, die in Calais erneut ihre Heimat verlieren, einfach verschwinden werden und dass nächsten Sommer keine Neuankömmlinge kommen werden, die ebenso hoffen, nach England zu kommen.

In der angespannten Situation der Räumung kommt der friedlichen Präsenz von Menschen, die das Vorgehen der Polizei dokumentieren und bei Konflikten deeskalieren, eine wichtige Rolle zu.

In einer der Suppenküche traf ich Ibrahim, dem ich zuerst im Sommer 2014 auf Lesbos begegnet war. Es war ein seltsames Wiedersehen. Er freute sich, mich wiederzusehen, und ich auch, aber gleichzeitig kämpfte ich mit den Tränen. Ibrahim ist nun seit zwei Jahren unterwegs, er hat Grenze nach Grenze überwunden, musste sein Leben in die Hände von Schmugglern legen und nun ist er auf die Hilfe von Freiwilligen wie mir angewiesen. Nichtsdestotrotz ist er entschlossen, seinen Weg nach England zu finden.

Von Lesbos bis Calais, in ganz Europa stehen der Bewegung der Flüchtlinge höher werdende Zäune und Gewalt von FRONTEX, Polizei und faschistischen Bewegungen gegenüber. In Deutschland gab es im vergangenen Jahr über eintausend Angriffe auf Asylbewerberheime. Die extreme Rechte hat mit Pegida sowohl eine Bewegung, als auch in der AFD in Deutschland eine politische Macht errungen.

Gleichzeitig opfern zehntausende EuropäerInnen mit Papieren ihre Freizeit, um sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einzubringen. Sie bringen den Neuankömmlingen die Landessprache bei oder begleiten sie zu Amtsterminen oder zum Arzt. Die Freiwilligen auf Lesbos und in Calais sind lediglich die sichtbarsten Beispiele der Willkommenskultur, die parallel zum Aufstieg der extremen Rechten verläuft und mit ihr über die Deutungsmacht dieses historischen Moments ringt.

Für Menschen wie Ibrahim, für die kleinen Gemeinschaften, die Gastfreundschaft mit den Fremden üben, und für uns selbst, muss die Willkommenskultur zu einer wirklichen politischen Kraft werden.

Als Gläubige erzählen wir davon, “dass einige ohne es zu wissen Engel aufgenommen haben”. Wir glauben, dass wir selbst ein Pilgervolk sind und dass wir dem Auferstandenen in den Geringsten begegnen. Wenn wir das ernst nehmen, wird es uns zur Gabe und Aufgabe, die Wirklichkeit der Gastfreundschaft in Wort und Tat zu bezeugen.



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