Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Sprache schafft Wirklichkeit

von Dietlind Jochims und Birgit Neufert / Juni 2017

Beim Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge 2017 gestalteten die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche Dietlind Jochims und ihre Mitarbeiterin Birgit Neufert eine Station zum Thema „Sprache schafft Fakten“. Wir dokumentieren hier den thematischen Teil der Station.

Dietlind Jochims: Wir stehen am Spiegelhochhaus, einem Hamburger Wahrzeichen für den Einfluss von Wörtern und Sprache. Sprache kann heilen und verwunden, sie kann aufdecken und verschleiern, sie kann sich winden oder benennen. Denn: Sprache schafft Wirklichkeit.

DIE „FLÜCHTLINGSKRISE“

Birgit Neufert:
„Europäer demonstrieren Geschlossenheit in der Flüchtlingskrise“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.9.2015).
„Warum die Flüchtlingskrise jetzt eskaliert“ (Die WELT Online, 9.9.2015).
„Die Flüchtlingskrise markiert eine Zäsur in Merkels Kanzlerschaft“ (Spiegel Online, 1.10.2015).
„Flüchtlingskrise kostet Deutschland jährlich 22 Milliarden Euro“ (Die WELT Online, 27.1.2017).
„Die Flüchtlingskrise 2015 hat die Deutschen gespalten“ (Deutsche Welle, 31.3.2017).

 „AFGHANISTAN“

BN: Ist Afghanistan sicher?
„[Die Sicherheitslage kann sein] ‘kontrollierbar[…], überwiegend kontrollierbar[…], ausreichend kontrollierbar[…], überwiegend nicht kontrollierbar[…], nicht kontrollierbar […]‘ – was dann, bei konkreten Bewertungen, wie z.B. nach dem Taliban-Angriff in Kunduz, zu schwer verständlichen Einschätzungen führt wie ‘ausreichend kontrollierbar, zeitweise jedoch überwiegend nicht kontrollierbar‘.“ (Thomas Ruttig, Experte für Afghanistan, 16.12.2016)
„Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber ist nicht Ziel von Anschlägen der Taliban. Und das ist ein großer Unterschied“ (Innenminister Thomas de Maizière, 20.02.2017).
„Afghanistan hat große Summen an Entwicklungshilfe erhalten – also können wir erwarten, dass Afghanen in ihrem Land bleiben“ (Thomas de Maizière, Oktober 2015).
DJ: „Sicher“ suggeriert Sicherheit. Sicherheit aber muss benannt werden können: Sinkt die Zahl der Opfer? Bestätigen unabhängige Berichte sie? Das Gegenteil ist der Fall. Der Afghanistan-Sprachgebrauch ist zynisch und menschenverachtend.

„SICHERE HERKUNFTSSTAATEN“

BN: „Die Asylbewerberzahlen rechtfertigen diese Lösung und verlangen danach“ (De Maizière, 15.05.2014).
DJ: Ghana, Senegal und die Westbalkanstaaten gelten als „sichere Herkunftsstaaten“. Unmenschliche und erniedrigende Behandlung, regelmäßige Menschenrechtsverletzungen werden durch diese Kategorisierung verschleiert. Die menschenunwürdigen Realitäten z.B. der Roma oder anderer Minderheiten auf dem Westbalkan bleiben unverändert. Nur können sie nun umso schneller abgeschoben werden.

„GUTE BLEIBEPERSPEKTIVE“

BN: „Diejenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, sollen schnell wirklich integriert werden“ (Angela Merkel, 18.06.2015).
„Es ist nicht sinnvoll, denen, die wahrscheinlich nicht bleiben können, Illusionen zu machen“ (Thomas de Maizière, 30.09.2015). „
Fehlanreize bei Menschen ohne Bleibeperspektive sollen vermieden werden.“ (Bundesregierung, 26.10.2015)
DJ: „Gute Bleibeperspektive“ nimmt als Kategorisierung die individuelle Prüfung von Asylanträgen vorweg. Gut oder schlecht, das bedeutet zum Beispiel: Manche Menschen bekommen Zugang zu Sprachkursen. Es sind diejenigen, die aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen die Prognose, erfolgreich ein Asylverfahren zu durchlaufen, positiv ist. „Gute Bleibeperspektive“, das bedeutet: Es gibt auch eine „schlechte Bleibeperspektive“. Menschen können so schon unmittelbar nach ihrer Ankunft ausgegrenzt, in separaten Unterkünften untergebracht und schneller abgeschoben werden.

„GLAUBENSPRÜFUNG“ IM ASYLVERFAHREN

BN: „Aus der Bescheinigung, die der Kläger von der evangelischen Gemeinde in N. eingereicht hat, lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger eine innere Hinwendung zum Christentum vollzogen hat. Dass der Kläger regelmäßig die Gottesdienste besucht, scheint mehr damit zusammenzuhängen, dass der Kläger betreut wird und Zusprache im Gottesdienst hat“ (Verwaltungsgericht Greifswald 2014).
„Der Glaubenswechsel muss auf einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruhen“ (VG Greifswald 2014).
DJ: Wer zum christlichen Glauben konvertiert und damit bei Abschiebung einer besonderen Gefahr im Herkunftsland ausgesetzt wäre, muss sich erklären: Kann aber eine innere Hinwendung zum Christentum in abfragbare Sätze gegossen werden? Kann man die Wirksamkeit der Taufe in Frage stellen? Innere Hinwendung zum Christentum – wie würden wir sie beschreiben, wenn wir gefragt würden?

„SCHLEUSER_INNEN“

BN: „Wir müssen verhindern, dass wir die Geschäfte der kriminellen Netzwerke und Schlepper in Libyen nicht noch dadurch unterstützen, dass die Migranten immer näher an der libyschen Küste von europäischen Schiffen aufgenommen werden“ (Frontex-Direktor Fabrice Leggeri, Februar 2017).
DJ: Ein sprechendes Beispiel für das Umdrehen von Realitäten. Denn die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ wissen von ihren Rettungseinsätzen im Mittelmeer: „Das Geschäftsmodell der Schlepper funktioniert nur deshalb, weil es für diese Menschen keine Alternative gibt, als unter enormer Gewalt oft ihre gesamten Ersparnisse dafür einzusetzen, ihre Leben auf einem löchrigen Schlauchboot im Mittelmeer aufs Spiel zu setzen.“. (...)
BN: Wir wehren uns gegen eine Sprache, die politisches Kalkül unsichtbar und Diskriminierungen salonfähig machen soll. Wir fordern einen wachen Umgang mit vermeintlicher Alltagssprache.
Wir fordern – auch von uns selbst: Sprecht menschlich!



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...