Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Hausfriedensbruch oder heilsame Maßnahme?!

Erster Geigenunterricht nach dem Konzert...

von Ernst-Ludwig Iskenius / Juli 2020

Am 17. August 2019 veranstaltete die bundesweite Gruppe „Lebenslaute“ ein Aktionskonzert im Erstaufnahmelager für Geflüchtete in Nostorf-Horst (siehe Rundbrief 93) Ernst-Ludwig Iskenius, Arzt, Menschenrechtsverteidiger und lange schon engagiert vor Ort, und ich als Polizeikontakt bei der damaligen Aktion erhielten als einzige im Nachgang zum Konzert einen Brief der Landespolizei, dass ein Ermittlungsverfahren gegen uns eingeleitet sei. Nun erhielten wir beide ein Schreiben mit Datum vom 6. Juli 2020, das uns über die Einstellung des Verfahrens informierte. Ernst-Ludwig formulierte daraufhin eine Antwort, die wir hier leicht gekürzt abdrucken. (DG)

Sehr geehrte Frau Staatsanwältin Schulz,

Ihr Schreiben vom 6.7. habe ich gestern erhalten. Zu diesem Schreiben habe ich noch einige Fragen:

Wieso hat das Ermittlungsverfahren fast ein Jahr gedauert, wo doch die Handlung bekannt, ich niemals sie in Abrede gestellt und ich auch dazu hätte weitere Auskunft geben können? Das hätten Sie einfacher und schneller haben kön-nen als ein Jahr lang ermitteln zu müssen!

Gegen mich wurde wegen schweren Hausfriedensbruchs ermittelt, ich nehme an Sie meinen den §124 der Strafprozessordnung, Schwerer Hausfriedensbruch: „Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (Quelle: dejure)

Meine Frage: Was hat die Staatsanwaltschaft bewogen, das Ermittlungsverfahren gegen dieses Vergehen einzustellen und einen Strafbefehl nicht zu erlassen? Was war Ihre Motivation? Immerhin haben Sie dieses "Vergehen" als strafwürdig bis zu zwei Jahren Gefängnis eingeschätzt, also ziemlich schwerwiegend. Die anschließende Belehrung sollte das auch zeigen.

Sind Sie wirklich der Meinung, dass wir als Bürger*innen dem täglichen Unrecht, das den zwangsweisen Bewohner*innen dieses Lagers in Horst angetan wird, auch in Zukunft tatenlos zuschauen können? Es wird dort gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstoßen und besonders schutzbedürftigen ihre besonderen Bedürfnissen vorenthalten. Kindern wird über Monaten ihrer dringend notwendigen Schulbildung vorenthalten (Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention). Die medizinische Versorgung ist in vielen Fällen unzureichend und lückenhaft (Grundrecht auf Gesundheit). Menschen isoliert mitten im Wald ohne ausreichende Infrastruktur an die übrige Aufnahmegesellschaft auszusetzen, verstößt gegen Artikel 1 Grundgesetz: "Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Aufgabe jeglicher staatlicher Gewalt." Nachts und häufig unbemerkt von der Zivilgesellschaft dringt nicht selten bewaffnete Polizei in die Schlaf- und Wohnräume der Bewohner*innen ein und nimmt sie zur Abschiebung mit, darunter auch traumatisierte Menschen und Kranke. Das ist Gewalt und setzt gesundheitliche Schäden. Das Lager ist ein demokratiefreier Raum, die der effektiven Kontrolle der Zivilgesellschaft entzogen ist. Regelmäßig wird mir und ande-ren der Zutritt verweigert, wenn wir uns berichteten Missständen nachgehen wollen. Die Liste der Rechtsbrüche und Missstände in diesem Lager könnte noch weiter fortgesetzt werden. Dort herrscht kein "Hausfrieden", der gebrochen werden kann.

Können Sie mir erklären, welchen Schaden wir mit unserem Konzert auf der Freifläche vor den Häusern angerichtet haben? Sach- und Personenschäden? Wenn Sie dabei gewesen wären, hätten Sie erleben können, wie freudig und einladend wir von den Bewohner*innen begrüßt und wie sie dieses Konzert als Unterbrechung Ihres tristen Alltages genossen haben. Zumindest für sie waren wir sehr willkommen. Es war für die Seelen dieser Bewohner eine heilsame Maßnahme, anders als die vielen Verletzungen, die sie täglich erfahren müssen. Von daher war es eine notwendige, vielleicht noch nicht hinreichende Maßnahme, so dass wir sie eventuell auch wiederholen müssen, wenn die oben aufgezeigten Unrechtszustände nicht beseitigt werden. Als Zivilgesellschaft haben wir die Verpflichtung, das Grundgesetz zu hüten und über deren Einhaltung zu wachen, insbesondere, wenn staatliche Stellen es nicht tun.

In der Schule habe ich mal gelernt, dass die Justiz als dritte Säule im Rechtsstaat die Aufgabe hat, als Korrektiv zur Legislativen und Exekutiven zu wirken. Meine Frage ist: Was haben Sie als Teil der Justiz bis heute getan, diesen Missständen und diesem Unrecht nachzugehen? Darauf hätte ich gerne eine Antwort, dann könnte ich mir auch vorstellen, ihrem Hinweis auch bedingungslos zu folgen. Ansonsten muss ich mich weiterhin auf den Rechtfertigenden Notstand nach §34 StGB berufen. ...

Mit freundlichen Grüßen, Ernst-Ludwig Iskenius Lübtheen am 19.7.2020



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...