Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Chronik einer Begleitung

Vision...

... und Wirklichkeit

von Marie Schuster / Juli 2014

Unsere Freiwillige Marie Schuster arbeitet donnerstags im Café Exil, einer Anlaufstelle für Flüchtlinge, mit. Begleitungen zu Behörden sind ein zentrales Angebot des „Cafés“.

Wir sitzen schweigend im Taxi. Wir fahren zur Sportallee, dem Erstaufnahmezentrum für AsylbewerberInnen in Hamburg. Ich habe in den letzten drei Monaten viel von diesem Ort gehört, aber ich bin selbst noch nicht hin gefahren. Heute begleite ich eine hochschwangere Frau, die nur Englisch spricht. Sie wurde von der Ausländerbehörde weggeschickt mit einem Zettel, worauf die ungefähre Wegbeschreibung und ein Stadtplan auf Deutsch sind. Da sie nur wenige Wochen vor der Geburt ihres Kindes steht, schafft sie den Weg mit viel Umsteigen nicht alleine. Eine nette Fremde hat sie über die Straße ins Café Exil gebracht. Die Frau, die aus Afrika stammt, hat nur „Ich will Asyl. Ich muss hierhin, “ auf Englisch gesagt und auf die Wegbeschreibung gezeigt.

Noch im Taxi probe ich, was ich sagen soll. Ich will nicht die Wörter 'Asyl' und 'Aufenthalt' verwechseln. Wir sollen nicht verraten aus welchem Land die Frau kommt, denn es wird von der Regierung für 'sicher' gehalten. Leider verkompliziert das einen Asylantrag und das heißt, dass sie nach der Geburt ihres Kindes abgeschoben werden kann. Nach dem Rat, den wir per Telefon von 'Fluchtpunkt' bekommen haben, soll meine Taxigefährtin zuerst Aufenthalt aus humanitären Gründen, statt Asyl, beantragen. Sie soll nicht so viel von ihrer Geschichte erzählen, bis sie einen weiteren Beratungstermin bei 'Fluchtpunkt' hatte. Wir haben den Plan im Café Exil diskutiert. Ich wiederhole es nochmals im Taxi. Sie nickt dazu, aber ich sehe, dass sie erschöpft ist. Ich versuche, sie zu beruhigen und sage, dass alles gut wird. Sobald ich das gesagt habe, fühle ich mich schuldig. Ich weiß gar nicht, ob es gut wird. Wie komme ich darauf, so was zu sagen? Ich wünsche mir in diesem Moment mehr 'realistisch deutsch' als 'optimistisch amerikanisch' zu sein.

Das Taxi hält an einer Ecke an, ganz ungünstig für eine schwangere Frau. Ich helfe ihr aus dem Taxi und sammle ihr Gepäck ein. Sie hat nicht viel dabei: eine Schultertasche, eine kleine Handtasche und eine Plastikeinkaufstüte. Ein paar Toilettenartikel und Sandalen schauen aus ihrer Tüte. Wir sind noch nicht am Eingang angekommen, da merkt man schon, hier wird es 'multikulti'. Kinder laufen herum und rufen in verschiedenen Sprachen ihren Freunden zu. Sie gucken uns an, lachen und spielen weiter. Leere Trinkpäckchen liegen auf dem Fußweg. Ich nehme ihre Hand, als wir die Treppe zum Eingang hoch steigen. Da stehen ungefähr fünf Männer in blauen Westen und schwarzen Hosen, die rauchen und mit den Kindern scherzen. Sie sind der Sicherheitsdienst. Zwei nähern sich uns und fragen, wie sie uns helfen können.

Wie ich im Taxi geprobt habe, erkläre ich, dass die Frau hochschwanger ist und einen Aufenthalt aus humanitären Gründen beantragen möchte. „Nicht heute“, höre ich als Antwort. Ich bin verwirrt, verärgert und fühle mich hoffnungslos. Die ganze Palette von Gefühlen in einer Sekunde. „Das Büro ist jetzt geschlossen. Sie darf morgen den Antrag stellen“. Wir sind zu spät gekommen, aber sie wird als Notaufnahme ein Bett für die Nacht und Essen bekommen. Wir reden auf Deutsch und dazwischen erkläre ich auf Englisch, was los ist. Die Frau steht geduldig neben mir. Sie sagt nichts und sie fragt nach nichts. Sie scheint nicht ganz präsent zu sein und lässt alles über sich ergehen.

Dann kommt die nächste Frage: „Woher kommt die Frau denn?“ Scheiße/Mist. Das sollte ich nicht verraten. Ich wiederhole, dass die Frau sechs Wochen vor der Geburt steht und sich ausruhen muss. Sie lassen sich nicht ablenken. Die etwas größere Wache fragt noch einmal. Ich übersetze für die Frau. Sie schaut mich einfach an, als wolle sie fragen: “Was jetzt?“ Der jüngere Wachmann kommt uns mit seiner Zigarette zu nahe und fragt aggressiver: “Wo kommt die Frau her?“ Ich hasse es, dass er so nah bei der Frau raucht. Ich hasse es, dass er mich anschuldigend anschaut. Ich bin unsicher und mache mir Sorgen, was dieser Frau passieren könnte.

Der Größere scheint sympathischer zu sein. Er redet ganz offen mit mir. Er sagt, dass sie das Land wissen müssen, um sie überhaupt aufzunehmen. Auch um später einen Dolmetscher für das Aufnahmeinterview zu organisieren. Er versucht mich zu beruhigen und sagt: “Wir haben dasselbe Ziel.“ Ich rede auch ganz offen. Ich erzähle, dass ich mein Bestes tun muss, um die Frau zu vertreten und erst mal mit ihr sprechen muss. Wir finden eine Bank und setzen uns darauf. Sie hört zu aber reagiert nicht auf die Information. Ich versuche, Manuel zu erreichen, aber er hat das Café schon verlassen und sein Handy ist aus. Ich bin verzweifelt und meine Gefährtin sieht schwach aus. Es scheint ihr egal zu sein, ob wir uns doch entscheiden das kleine Notaufnahme-Formular auszufüllen und ihr Herkunftsland anzugeben.

Danach unterhalten sich alle ganz freundlich mit uns und zumindest ist der jüngere, rauchende Wachmann verschwunden. Der Größere holt einen Schlüssel und ein anderer mit einem weißen Bart bringt uns Bettwäsche und führt uns zu ihrem Bett. Leider gibt es keinen Platz im richtigen Gebäude. aber eine Reihe gestapelter Container stehen im Garten. Dort muss meine Gefährtin in den zweiten Stock. Der Mann, der die Bettwäsche trägt, erklärt, dass sie vielleicht morgen nach dem Antrag ein anderes, besseres Zimmer bekommen könne.

Wir gehen langsam und sie muss meine Hand und das Geländer der steilen Treppe festhalten, um hoch zu kommen. Ich mache mir Sorgen, wie sie alleine die Treppe herunterkommen wird. In dem kleinen Containerzimmer gibt es sechs Schränke, zwei Stühle und zwei Stockbetten. Glück gehabt: Es gibt nur eine andere Frau in dem Zimmer, leider haben sie keine gemeinsame Sprache. Es ist eng und ich weiß nicht, ob sie sich mit ihrem Bauch zwischen den Betten bewegen können wird. Sie setzt sich auf einen der Stühle und ich richte das Bett her.

Der Weißhaarige kommt mit einem Essenspass. Leider haben wir das Mittagessen verpasst, aber Abendessen gibt’s in ein paar Stunden. Ich gebe ihr die zwei Stück Obst, die ich im Rucksack habe. Das Zimmer ist jetzt eingerichtet und ich muss mich auf den Weg machen. Ich lege das Flugblatt von 'Fluchtpunkt ' auf den Tisch mit der Wegbeschreibung zur Sportallee. Ich erinnere sie noch einmal an ihren Termin. Dann schreibe ich „Antrag für Aufenthalt aus humanitären Gründen“ auf das Flugblatt, mit meiner Handynummer, falls es am Morgen ein Problem geben sollte.

Mehr kann ich in diesem Moment nicht tun. Ich bete, dass es genug ist. Sie dankt mir nochmals. Ich umarme sie und bitte, dass sie mich anruft. Dann gehe ich die verrückten Treppen hinunter und verabschiede mich von dem weißhaarigen Wachmann, bevor ich zur Bushaltestelle laufe.



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