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Gastfreundschaft für die Geringsten

von Frits ter Kuile / Dezember 2004

Frits ter Kuile lebt seit acht Jahren im Amsterdamer Jeannette Noel Huis. Das Haus steht mitten in einer riesigen Plattenbausiedlung, die zurzeit Stück für Stück abgerissen wird. Frits beschreibt in seinem unverwechselbaren holländisch-deutschen Stil seine Gastfreundschaft für die Geringsten unter uns und was das manchmal im Alltag mit sich bringen kann.

Das Jeannette Noël Haus ist eines von zwei Catholic Worker Häusern in Amsterdam. Wir, das sind Wibo, Leonie und ich, bieten Gastfreundschaft für etwa zehn illegalisierte Menschen mit Hilfe einiger FreundInnen und meiner chinesischen Frau, die unsere beiden chinesischen Gästinnen betreut. Jesus sagt im Evangelium nach Matthäus, was wir den Geringsten unserer Brüder und Schwestern tun, das haben wir ihm getan. Wir meinen, die illegalisierten Menschen gehören sicherlich auch zu diesen Geringsten.

Wir sind sehr froh in Amsterdam zu wohnen, wo das Klima ein wenig lockerer ist als im Rest der Niederlande und in anderen Ländern wie z.B. in Deutschland. Obwohl die Amsterdamer Fremden-Polizei ihre Quoten festgenommener Illegalisierter erfüllen muss, lassen sie uns bis jetzt in Ruhe. Vielleicht weil sie am liebsten anonyme Illegalisierte verschwinden lassen, ohne dass es viel Aufwand macht oder auffällt. Wir dagegen werden breit unterstützt und können laut schreien. Vielleicht ist es ja auch, weil bei uns eine Aura von Jesus ums Haus hängt, ja sogar ein katholischer Jesus, und wir würden uns auf die Gottesdienstfreiheit berufen.

So kommt es sogar schon vor, dass Polizei und Grenzschutz ab und zu Menschen zu uns bringen.

 

"Hilfe die Herdmanns kommen …" - Gastfreundschaft auf der Probe

So fragte im Herbst 2002 die Polizei, ob eine Russin mit ihrem dreijährigen Kind bei uns übernachten dürfte, nur fürs Wochenende. Dann würden sie Asyl beantragen. So kamen sie ins Notbettzimmer bei der Waschmaschine. Doch RussInnen bekommen kaum Asyl, dachten wir. Darum rieten wir ihr, sich erst bei der Kirche beraten zu lassen. Als sie zurückkam, sagte sie, dass der Dolmetscher nicht gut gewesen sei, weil er sagte, dass sie keine Chance hätte. Dann tauchte ihr westafrikanischer Mann auf. Das war ein Glück, denn sie sprach nicht mit dem Bub, und der Bub reagierte auf nichts. Doch beim Vater setzte er sich direkt auf den Schoß. Der Vater ließ sich von den anderen Afrikanern im Haus beraten, die ihm alle sagten 'keine Chance auf Asyl'. Wir sagten, sie könnten noch ein wenig bleiben, um einen neuen Plan zu machen. Und dann sagte eines Tages die Russin, Tanya, ganz froh: 'Ich bin schwanger!'. Meine Güte, dachten wir, dann sollen sie erst mal ein richtiges Zimmer bekommen und das Baby zur Welt bringen. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass Tanya nicht 'normal' war. Sie aß viel Zucker, machte Ärger mit Menschen und verdächtigte sie der unwahrscheinlichsten Dinge. Es stellte sich heraus, dass sie in Russland in der Psychiatrie gewesen war. Sie führte große wütende Gespräche mit der Luft, schmiss Sachen kaputt, und eines Tages hätten wir sie eigentlich wegschicken müssen, weil sie mit heißem Fett nach einer Mitbewohnerin warf. Doch Wibo liebte die Familie sehr. Und alle Gäste, selbst die Frau, die das Fett abbekommen hatte, baten darum, dass sie wegen der Kinder bleiben dürfte. Also ist sie noch geblieben. Weil sie überhaupt nichts tat und sich auch nicht vom Psychiater behandeln lassen wollte und ihr Mann nur in seiner Kirche war - weil sie also nichts taten, um auf eigene Beine zu kommen -, baten wir sie, Ende Juli 2004 zu gehen. Das erhöhte die Spannung so sehr, dass Tanja wieder viele Wutanfälle bekam. Als sie eines Sonntags während des Frühstücks systematisch alle Blumen vom Balkon riss, da wurde ich so wütend, dass ich sie gleich raus vor die Tür schleppte. An der Tür gab es ein großes Gerangel, und dann trat Tanya die Haustür aus Glas ein, so dass die Scherben überall herum flogen. Tanya musste daraufhin weg bleiben, und ihr Mann und die Kinder durften bis Ende Juli bleiben. Doch Ende Juni zogen auch sie aus.

Dann am nächsten Tag kam Agnes, eine Frau aus Ghana mit niederländischer Staatsangehörigkeit. Aber ihr Gehirn klappt nicht so ganz, und so ist sie obdachlos und isst mit bei uns. Doch sie darf nicht mehr kochen, weil sie zwei große Brandlöcher in den gerade neu gestrichenen Tisch gemacht hat. Ein anderes Mal schmierte sie sich ein Butterbrot, indem sie einfach mit ihren ungewaschenen Händen in die Margarine griff - und sssmss aufs Brot...

Als ich am darauf folgenden Morgen mein Toast mit Schokocreme bestreichen wollte, da sah der Aufstrich so komisch aus. Leonie sagte mir: "Gestern hat Mohammed (ein Gast, der vor 11 Jahren bei uns wohnte und uns immer noch als seine Familie ansieht) seinen Kaffe reingekippt, geschüttelt für Schokogeschmack, und dann zurück in seine Tasse getan." Mmm, jetzt kann ich drüber grinsen, damals nicht so ganz!

 

Liberales Holland - noch?

Das Gute an Holland im Vergleich zu Ländern wie Deutschland ist, dass unsere illegalisierten Kinder ruhig in die Schule gehen können. Ein FDP-Parlamentarier sagte mal, dass die Schulen verpflichtet werden sollten, illegalisierte Kinder anzuzeigen. Die niederländische CDU schloss sich an, doch die LehrerInnen sagten, sie würden nicht mitmachen und ihre Gewerkschaften und die Kirchen und viele Menschen ließen einen Schrei des Protests ertönen. Daraufhin zog sich die CDU zurück, weil es doch wohl sehr unchristlich war, und so können die illegalisierten Kinder immer noch in die Schule gehen.

Im Zeitalter kurz vor und nach dem Mord an dem rechtspopulistischen Politiker Pim Fortuin hatten wir ein wenig Angst. Das Klima war so scharf, dass der eine oder andere Politiker vielleicht meinte, er könnte seine Position stärken, indem er unsere Gäste oder uns festnehmen ließe. Doch bald war diese Regierung sehr in sich zerstritten und kippte. Die neue Regierung war zwar auch scharf aber nicht so hetzerisch. Die neue Einwanderungsministerin erließ scharfe Maßnahmen für die geplante Deportation von vielen Menschen. Aber dann kam es zu viel Widerstand, und in der Praxis sind die meisten untergetaucht oder weitergereist. Oder, weil die Deportation nicht klappte, wurden sie wieder auf die Straße gesetzt.

 

Deportation

Diese Ministerin wurde wütend, als Menschen das Wort ‚Deportation' benutzten, wenn sie über Abschiebung sprachen. Das Wort ist in Holland sehr mit der Deportation der Juden im zweiten Weltkrieg verknüpft. Doch ihre eigenen Abschiebehaftangestellten reden von ‚einem Depo' oder ‚einigen Depo's', wenn sie von Leuten sprechen, die kurz vor der Abschiebung stehen.

Wibo und Leonie besuchen wöchentlich die inhaftierten Illegalisierten, die in zwei Abschiebeknästen in unserem Stadtviertel eingesperrt sind. Die Menschen haben nix Verbrecherisches getan, sie haben nur keine Papiere. Ich selbst koordiniere und nehme Teil an monatlichen und in der Fastenzeit wöchentlichen Mahnwachen am Tor eines dieser zwei Abschiebeknäste.

Meine Oma und meine Mutter haben mir den Krieg und seine Schrecken doch ziemlich tief reingehämmert. Ich bedaure es aber, dass damals 1938 keiner nach der Kristallnacht an den holländischen Abschiebelagern (Red.: für deutsche Flüchtlinge) protestierte oder ein wenig später an denselben Lagern, welche dann von den Deutschen genutzt wurden, um Juden, Roma, Kommunisten und andere ihnen unwohlfällige Menschen zu deportieren.

Zu unseren heutigen Mahnwachen gegen Abschiebehaft kommen mal 10, mal 110 Menschen und ab und zu Presse. Und so hoffe ich, dass weniger Menschen sagen können: 'Wir haben es nicht gewusst, dass wieder unschuldige Menschen inhaftiert sind, sogar Kinder, und abgeschoben werden in oft schlimme Regionen'.

Genug geschrieben. Die Sonne scheint, und wir gehen im Garten Brombeeren pflücken für Marmelade und Wein. Ich wünsche euch einen sonnigen und wohlriechenden Herbst.

Pax et Bonum

Euer Frits



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