Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Leben teilen in Unrecht und Schönheit

von Manuel Beyer / März 2016

Anne und Manuel mit ihrem Sohn Noah zieht es Mitte März wieder in den Süden zurück. Manuel wird als Flüchtlingsseelsorger in Freiburg arbeiten, Anne freut sich auf viel Sonne und Natur und Noah auf seine Großeltern (auch wenn er davon noch nichts weiß). Das bedeutet aber auch, liebgewordene Menschen zurückzulassen, einen besonderen Lebensstil und ein Netzwerk von MitstreiterInnen für Menschen und ihre Rechte.

Seit September 2012 leben wir bei Brot & Rosen, erst zu Zweit und jetzt zu Dritt. Wir haben Lachen und Weinen geteilt, Kochen und Putzen, Freude und Streit, Arbeiten und Spielen, Anstrengung und Entspannung. Kurz: es waren intensive Jahre, voll mit Leben gefüllt. Meine Frau Anne sagt gerne: Das Pendel schlägt stärker aus bei Brot & Rosen: in beide Richtungen des Lebens, in die Höhen und in die Tiefen. „Leben in Fülle eben“, ergänze ich, denn für mich hat dieses Zusammenleben in Gemeinschaft mit Menschen aus aller Welt viel mit meinem Glauben und seinen Verheißungen zu tun.

Ich wollte gerne ausprobieren, wie das geht: Solidarität und Gerechtigkeit im Alltag leben, Gemeinschaft und Gastfreundschaft einfach zu tun. Jetzt im Rückblick kann ich sagen: Ich habe viel gelernt und erfahren in meiner Zeit hier.

Das Leben in der Hausgemeinschaft bringt mich mitten im Alltag in Berührung mit einer Wirklichkeit, die größer ist als mein kleiner privater Kosmos. Es ist etwas anderes, ob ich von Not und Unrecht in der Zeitung lese oder ob sie mir in meiner Mitbewohnerin begegnet, die ich ins Herz geschlossen habe. Und dass es in Deutschland Strukturen des Unrechts gibt, die sich tief bis in Gesetze und Verwaltungen hinein gegraben haben, ist mir durch das Zusammenleben mit MigrantInnen überdeutlich geworden. Eine Freundin hat mich nach einiger Zeit hier gefragt, ob mich das nicht verzweifeln lasse. Und da habe ich gespürt: Nein, denn ich bin mit vielen Engagierten zusammen unterwegs. Hier im Haus und darüber hinaus in der ganzen Stadt. Dafür bin ich dank-bar und froh.

Und dann ist da auch die andere Seite von Brot & Rosen. Wir versuchen, hier im Kleinen zu leben, wie wir uns Gesellschaft auch im Großen vorstellen. Wenn so viele Menschen ihr Leben miteinander teilen, erlebe ich einen Reichtum, der einfach schön ist! Jeden Abend kocht ein anderes „Land“, wir haben Essen aus Syrien und Afghanistan, aus Somalia und Ecuador, aus Serbien und Nigeria,… Wir teilen Sprachen und Kulturen, wir teilen Fähigkeiten und Zeit, wir teilen Geld und Engagement. Das ist nicht immer einfach und manchmal ganz schön anstrengend, wenn es Streit und Konflikte gibt, wenn die Anderen meine und ich ihre „Macken“ ertragen muss, aber alles in allem hat es einfach eine tiefe innere Schönheit.

Ich bin berührbarer geworden, wie ich es sonst nur von spirituellen Intensivzeiten wie den Straßenexerzitien kenne. Ich erlebe mich als innerlich durchlässiger und ansprechbarer für das Leben und die Leiden von Menschen ganz in meiner Nähe und auch für die Kämpfe der Menschen weiter weg. Von zwei Ereignissen im Jahr, an denen ich das auch jenseits des Alltags spüre, möchte ich kurz erzählen: Es ist der Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge, den wir auf die Straßen der Hamburger Innenstadt tragen, und das Requiem für die Toten an den EU-Grenzen zum Volkstrauertag. Ob-wohl sie verschieden sind, gibt es für mich doch Gemeinsames. In beiden Gebetsformen verbinden sich Kampf und Kontemplation, lasse ich mich ansprechen von Menschen und ihrem Kampf um Leben, erhebe ich meine Stimme für Gerechtigkeit, rufe ich zu Gott. Das Unrecht an mich heran-zulassen und vor Gott zu bringen, schenkt mir Tränen. Und es schenkt mir neue Kraft, die ich in den Tagen und Wochen danach besonders deutlich wahrnehme.

Einfach schön ist es auch zu erleben, dass wir Geschwister auf der ganzen Erde haben: ob in Köln oder Dortmund, in Amsterdam oder Oxford und London; und auch aus Somalia, Kurdistan und Lateinamerika. Für uns besonders außergewöhnlich waren die Begegnungen mit den Catholic Worker-Geschwistern in den USA. Nach unserem ersten Jahr hier haben Anne und ich dort für einige Wochen Häuser der Gastfreundschaft besucht. Eine Erinnerung möchte ich er-zählen: Wir saßen in New York in Sichtweite des zerstörten World Trade Centers auf dem Gehweg und haben unsere Gefühle und Gedanken ausgetauscht. Es hat sich für uns wie ein moderner Wallfahrtsort (für die MärtyrerInnen unseres Lebensstils?) angefühlt Für uns ist klar, das waren schreckliche Morde, die da verübt wurden. Es darf keinen Terror und keine Gewalt geben. Aber für uns ist auch klar: von Niemandem! Weder im Namen einer Religion noch eines Staates und auch nicht im Interesse eines Wirtschaftssystems. Es waren schreckliche Tode. Aber jeden Tag sterben 35.000 Kinder an Hunger, werden Menschen in Arbeitslosigkeit und Depression entlassen, fordert die globale Wirtschaft ihre Opfer. Das hat für mich religiöse Untertöne. Da-her freue ich mich, dass ein religiöser „Global Player“, der aktuelle Bischof von Rom, Papst Franziskus, uns warnt vor einer Wirtschaft, die tötet, und uns erinnert an Leiden, Zerstörung und Tote, die die Ausmaße eines neuen Weltkrieges haben.

Warum erzähle ich das? Weil es für mich einen Unterschied macht, ob ich es theoretisch bereits wusste. Oder ob ich es praktisch erfahren habe im täglichen Zusammenleben mit den Opfern dieses Systems, von dem wir in Deutschland bislang vor allem profitieren. Das Leben bei Brot & Rosen hat mich wacher gemacht für die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, in denen ich lebe. Und es hat mich ermutigt, diese Fragen auch spirituell und theologisch zu stellen und zu vertiefen.

Sucht zuerst Gottes Gegenwirklichkeit und ihre Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere dazu geschenkt,“ ermutigt mich das Matthäusevangelium in Kapitel 6,33. Und ich kann sagen, ja, das stimmt. Der biblische Gott Jesu steht auf der Seite der Armgemachten und er inspiriert mich zum Engagement für Gerechtigkeit. Und ja, bei allem Teilen und einfach leben: Wir sind reich beschenkt und gut versorgt, mit Essen- und Kleiderspenden, mit FreundInnen und MitstreiterInnen für Gottes Gerechtigkeit, mit Zeit füreinander als große und als kleine Familie, mit allem, was mensch für ein Leben in Fülle braucht.

Von Herzen Danke für alles, besonders an die Menschen hier im Haus: für Gemeinschaft und Gastfreundschaft, für die Treue seit 20 Jahren, für offene Begegnungen und prophetisches Engagement, für Freundschaften und Blödsinn machen, für Lebenteilen und Diskutieren, für die vielen Menschen, deren Namen ich hier nicht aufzählen kann. Wir wünschen euch Gottes Begleitung für die kommenden 20 Jahre und dass sie sich immer wieder auch in Menschen zeigt.



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