Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Ein Modell? Ein Modell!

Blick in unseren Wäschekeller ...

Hausmusik an Weihnachten

ProphetInnen der Gewaltfreiheit: Dorothy Day, Mahatma Gandhi und Martin Luther King jr.

von Dietrich Gerstner / März 2006

„Würdet Ihr sagen, Euer Lebensstil ist ein Modell? Ist er auf die Gesellschaft übertragbar?“

Solche Fragen bekommen wir immer wieder gestellt, wenn wir über unser Leben bei Brot & Rosen erzählen.

Und natürlich fragen wir uns selbst, inwiefern unsere Lebensform eine Bedeutung haben könnte für den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang.

10 Jahre lang leben wir nun zusammen mit Menschen unterschiedlichster kultureller und ethnischer Herkunft. Weit über 100 Menschen aus über 35 Ländern haben bislang bei uns mitgelebt. Manche nur für wenige Tage, andere für mehrere Monate oder gar Jahre.

Ich bin mir sicher, dass wir aus unseren wachsenden Erfahrungen bei Brot & Rosen einige Anregungen geben können für einen nachhaltigen und zukunftsfähigen Lebensstil.

In einer Welt großer ökonomischer Ungleichheit zwischen den armen Ländern des Südens und den reichen Ländern des Nordens und Westens ist Migration eine Tatsache. Und dennoch erleben wir, dass in Deutschland versucht wird, gesellschaftlich diese Wirklichkeit zu verleugnen.

Wir bei Brot & Rosen akzeptieren Migration und gestalten unseren Lebensstil auf diesem Hintergrund.

 

Anarchismus / Personalismus

Der Catholic Worker versteht sich als christlich-anarchistische Bewegung. Ein Grundmerkmal des Anarchismus ist es, dass jeder Mensch persönliche Verantwortung für das übernimmt, was ihr oder ihm konkret vor die Füße gelegt ist. Darum wird beim Catholic Worker auch gerne vom „Personalismus“ gesprochen. Wir rufen nicht selbstverständlich als erstes nach dem all-verantwortlichen Staat, sondern wir als ChristInnen und BürgerInnen prüfen zunächst, ob wir das nicht in eigener Verantwortung und Gestaltung regeln können.

 

Small is beautiful

Dieser Slogan aus den 60er Jahren gilt wesensmäßig für unser (Catholic Worker-) Modell bei Brot & Rosen: Persönliche Verantwortung und die Fähigkeit zum Mitgestalten lassen sich am ehesten in kleinen, überschaubaren Einheiten umsetzen und erleben. So ist unser „Haus der Gastfreundschaft“ nur ein kleines Projekt. Wir haben nicht den Anspruch, die Probleme aller obdachlosen Flüchtlinge in Hamburg lösen zu wollen. Lediglich 5 - 10 Menschen können hier mitleben. Im Schnitt ist es so, dass von uns mittragenden Erwachsenen jede bzw. jeder einen hilfesuchenden Menschen persönlich begleitet. Das macht es für uns überschaubar und persönlich. Und es verhindert, dass unser Haus, das ein echtes Zuhause sein soll, zu einer anonymen Institution wird.

Und so werden auch alle MitbewohnerInnen wirklich gebraucht - alle haben einen Job auf dem Putz- und Kochplan und übernehmen weitere Aufgaben im Haus. JedeR kann sich mit Gestaltungsideen einbringen, der Sinn von gemeinsamen Regeln ist in dieser Größenordnung ohne Schwierigkeiten zu erkennen, soziale „Kontrolle“ funktioniert noch, indem mensch sich gegenseitig schnell und „unbürokratisch“ auf Versäumtes hinweisen oder für Hilfreiches danken kann. Unsere überschaubare Größe trägt sicherlich zu einem Klima gegenseitiger Verbindlichkeit bei, was unsere MitbewohnerInnen seelisch stabilisiert und uns selbst menschlich bereichert.

 

Einige Regeln des Zusammenlebens

Als anarchistisch-personalistische Lebensgemeinschaft haben wir uns selbst Regeln für das Zusammenleben gegeben. Hier einige, die ich für übertragbar halte in die weitere Gesellschaft:

Wir begegnen uns, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit, ethnischer / nationaler Herkunft, sexueller Orientierung und natürlich auch als Frauen und Männer in gleichberechtigter Weise. Wir wissen, dass wir nicht alle gleich sind, aber dass uns allen die gleiche Würde verliehen ist!

Alle haben mehrere Aufgaben, mit denen sie zum Gesamthaushalt auf irgendeine Weise beitragen. Und alle diese Aufgaben sind wichtig und gebraucht.

Selten leben mehrere Menschen aus einem Land bei uns mit. Darum ist auch für unsere MitbewohnerInnen Deutsch die gemeinsame Sprache. Sicherlich sprechen wir Deutsch unterschiedlich fließend, andere Sprachen werden auch praktiziert und sind oft notwendig. Aber wir machen die Erfahrung, dass gerade angesichts dieses sehr gemischten Haushalts eine gemeinsame Sprache hilfreich ist. Dementsprechend fördern wir auch den Spracherwerb durch die Ermöglichung von Kursen oder die Vermittlung von befreundeten Privatlehrern.

 

Freiwillige Armut

Neben dem Personalismus bezeichnen viele Catholic Worker die „freiwillige Armut“ als das zweite wichtige Kennzeichen unserer Bewegung.

Der hohe Lebensstandard der westlich-nördlichen Länder gefährdet schon heute das Ökosystem Erde. Und er ist keinesfalls beliebig vermehrbar und übertragungsfähig auf den Rest der Welt. Die Hauptleidtragenden dieser Entwicklung mit häufiger werdenden Naturkatastrophen sind aktuell v.a. die Menschen in den armen Ländern des Südens.

Und das enorme soziale und politische Ungleichgewicht in unserer Welt ist der Zugfaktor für Migration. Auch aus dieser Sicht legt es sich nahe, dass wir lernen, hier im Norden bescheidender und einfacher zu leben. Ansonsten werden auch 6 Meter hohe Grenzzäune wie in Ceuta und Melilla nicht mehr genügen, um die Menschen davon abzuhalten, hierher zu kommen. Was tun?

Wir sehen uns als Teil einer wachsenden Bewegung, die einen einfachen Lebensstil verbindet mit dem Miteinander-Teilen: Als Hausgemeinschaft teilen wir zunächst mal Ressourcen miteinander - auch für 15 Menschen reicht eine Waschmaschine, wir benutzen für den gesamten Haushalt weitgehend eine Küche, die Badezimmer werden mit mehreren Partien gemeinsam genutzt. Lediglich wir als Familie haben uns vor ein paar Jahren einen alten Bus für Ausflüge gekauft. Darüber hinaus ist der Gesamthaushalt weitgehend mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln und vereinzelt mit gemieteten Autos mobil.

Wir kaufen nur wenig Neues, nutzen statt dessen viele Dinge lieber etwas länger, tragen auch Kleidung, die nicht mehr „modisch in“ ist, oder kaufen „second-hand“ ein. Das ist nicht nur günstiger, sondern auch gut für die Ökobilanz, werden doch in unserer Kultur viele Gegenstände „entsorgt“, lange bevor sie ihren Verbrauchswert verloren haben.

Und wir geben selbst weiter, was wir nicht mehr brauchen bzw. wovon wir mehr als genug haben.

Da wir für diesen Lebensstil weniger Geld benötigen als viele andere Menschen, können wir auch leichter die (gesellschaftlich verfügbare) Arbeit mit anderen Menschen teilen. Einige aus unserer Gemeinschaft gehen auch außerhalb einer Erwerbsarbeit nach, aber immer nur Teilzeit, z.T. sogar nur auf sehr geringer Basis. In einer Gesellschaft, in der bezahlte Arbeit immer rarer wird, ist es doch Wahnsinn, wenn der eine Teil der Menschen immer mehr arbeiten und Überstunden machen soll, während immer mehr Menschen nicht wissen, was sie den lieben langen Tag lang tun sollen. In solch einem Kontext halten wir auch das Miteinander-Teilen von bezahlter Arbeit für zukunftsfähig und modern, ermöglicht uns doch gerade diese Verminderung von Erwerbsarbeit unsere verschiedenen Engagements, mehr Zeit mit den Kindern und zuweilen auch mehr Muße.

 

Vernetzung - ein Blick über den Tellerrand

Zu einem ganzheitlichen und zukunftsfähigen Lebensstil gehört für uns auch der „Blick über den Tellerrand“ hinaus. Zwar ist es für uns als Brot & Rosen wichtig, ein klares Profil zu haben, aber das sollte uns nicht daran hindern, mit anderen Gruppen und Organisationen zusammen zu arbeiten und uns für andere Themenbereiche zu öffnen. Wir verstehen uns im Horizont der Konziliaren Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Konkret heißt das, dass wir uns nach Möglichkeit an Aktionen der Anti-Atomkraft-Bewegung ebenso be­teiligen wie uns regelmäßig mit geistlichen Ordensgemeinschaften treffen, dass wir uns ebenso für feministische Theologie interes­sieren wie für die Zusammenarbeit mit linken Gruppen im Flücht­lingsrat Hamburg. Dahinter steht die Erkenntnis, dass wir nur gemeinsam eine andere, eine bessere Welt erstreiten können.

Für unsere eigene Arbeit ist diese größere, gesellschaftliche Perspek­tive ebenfalls wichtig: Dadurch begreifen wir um so eher, dass es bei allem, was wir tun, nicht nur darum gehen kann, „die Verwundeten zu verarzten, sondern dass wir dem Rad selbst in die Speichen fallen müssen“ (frei nach Dietrich Bonhoeffer). Dieses politische Verständnis unserer Arbeit hilft uns dann auch, selbst kleine Dinge des Alltags wie die mit einem Flüchtling getrunkene Tasse Tee oder das gemeinsame Warten auf der Ausländerbehörde als einen Beitrag zu einer „neuen Welt“ zu verstehen, „in der es für die Menschen leichter sein wird, gut zu sein“ (Peter Maurin).

 

Nachhaltigkeit

In diesem grundsätzlichen Sinne entscheiden wir uns in einigen Bereichen, bewusst mehr Geld auszugeben. Nicht „billig will ich“, sondern immer wieder „gut statt viel“. So kaufen wir einen großen Teil der Lebensmittel, die wir über die Spenden hinaus brauchen, bei einem Bioladen oder zumindest Bio-Produkte aus dem Supermarkt. Wir beziehen unsere Elektrizität von einem Anbieter, der Strom nur aus erneuerbaren Energien anbietet (www.naturstrom.de). Es genügt uns nicht, gegen Atomstrom sein, sondern wir wollen schon jetzt, als KonsumentInnen, die bessere Alternative fördern. Ein nächster Schritt, von dem wir zur Zeit träumen, sind Solarzellen auf unserem Dach ... Und da wären noch eine Menge Energiesparmaßnahmen, die wir ergreifen könnten - denn jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen, muss erst gar nicht produziert werden.

Als VerbraucherInnen haben wir große Macht und Einflussmög­lichkeiten. Ganz im Sinne von „global denken, lokal handeln“.

 

Aufbruch - anders besser leben

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Ich bin mir sicher, trotz aller Krisenerscheinungen ist etwas Neues schon im Kommen. „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“, ahnen wir als ChristInnen und wissen uns gleichzeitig mit vielen anderen Menschen weltweit verbunden in der Zuversicht: „Eine andere Welt ist möglich!“.

In dieser Hoffnung sind wir getragen von unserem Glauben an den Gott, der noch größer ist als die Schrecken und die Herren dieser Welt. Auf diesem Weg wollen wir uns nicht entmutigen lassen von der Größe der Herausforderung, denn jede noch so weite Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und wir lassen uns auch nicht von dem Perfektionswahn, gleich „alles richtig“ machen zu müssen, lähmen.

Wichtig ist für uns, wenn wir gefragt werden, dass dieses Leben auch Spaß macht und uns einen persönlichen Gewinn bringt. Wir haben uns die Möglichkeit zu vielfältiger Arbeit und einem ganzheitlicheren Leben geschaffen. So fühlt sich ein zukunftsfähiger Lebensstil für mich nicht nur „moralisch“ gut an, sondern bereichert mich auch menschlich ungemein.

 

Ein Modell für zukunftsfähiges Leben

„Brot & Rosen als ein Modell für zukunftsfähiges Leben?“, das war die Ausgangsfrage. Angesichts der globalen Probleme und der innergesellschaftlich immer spürbarer werdenden sozialen Probeme würde ich mir nicht anmaßen zu sagen, wir hätten die klare wegweisende Lösung. Sicher ist aber, dass ein grundlegendes Umsteuern nötig ist! Und ich meine, dass wir als Lebensgemeinschaft etwas beizutragen haben zu einer zukunftsfähigen Gestaltung der Welt - sowohl im Bereich der Migration und Integration, als auch zu Fragen der Nachhaltigkeit. Vieles aus unserer konkreten Lebenspraxis ist, zumindest der Idee und Orientierung nach, übertragbar in andere Lebensformen:

1.) Wahrnehmen und Akzeptieren ist der erste Schritt zur Gestaltung und Veränderung einer Herausforderung.

2.) Übernahme persönlicher Verantwortung statt sofortige Delegation an die "Anderen".

3.) Kleine, überschaubare Einheiten beugen vor gegen Anonymität und helfen auch gesellschaftlich bei der Wahrnehmung persönlicher Verantwortung.

4.) Jedes Zusammenleben braucht verbindliche Regeln für alle, die sowohl Pflichten als auch Rechte umfassen.

5.) Ein einfacher Lebensstil und eine Haltung des Miteinander-Teilens ist ein grundlegender Beitrag zu unserer Überlebensfähigkeit.

6.) Wir nutzen bewusst unsere Macht als KundInnen im Sinne eines nachhaltigen Konsumverhaltens.

7.) Wir sind auf Zusammenarbeit und Vernetzung mit verschiedenen gesellschaftlich Gruppen angewiesen.



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