Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Denkt an die Gefangenen als Mitgefangene

Strahlende Gesichter gegen strahlenden Atommüll – ein bunter Zug um den Knast

Mahnwache vor dem AKW Krümmel am 1. Juli 2007

von Dietrich Gerstner / September 2007

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, dieses Bibelwort aus dem Brief an die Hebräer 13,3 auf sehr persönliche Weise in die Praxis umzusetzen. Bei einer gewaltfreien Blockade eines Castortransports ins Wendland in der Nacht vom 8. auf den 9.11.2004 zusammen mit vielen anderen Menschen war ich festgenommen und zu einem Bußgeld verurteilt worden – wir berichteten schon mehrmals in unserem Rundbrief. Vom 28. bis 30. Juni 2007 war ich nun wegen des nicht bezahlten Bußgeldes zur Erzwingungshaft in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis in Hamburg.

„Wie war’s denn im Gefängnis?“, werde ich seither immer wieder von FreundInnen und Bekannten gefragt. Gefängnis, das ist eine gesellschaftliche Tabu-Zone. Selbst die Vollzugsbediensteten („SchließerInnen“) verschweigen oft ihren Arbeitsplatz im Knast. Mit einem Gefängnisaufenthalt kann mensch sich normalerweise nicht schmücken, nicht damit angeben, so wie es bei meinem Sohn Joel wohl klang, als er laut über den Schulhof rief „Morgen holen wir meinen Papa aus dem Gefängnis ab!“

Tja, was soll ich sagen zu meiner Haftzeit? Ich habe die ganze Zeit auf zwei Ebenen erlebt:

Einerseits sind zwei Tage bzw. 48 Stunden kurz und überschaubar. Außerdem war ich müde und konnte mich dort sogar ein bisschen ausruhen, denn Abwechslung gab’s so gut wie keine. Und ich hatte zum Glück meine "Bibel in gerechter Sprache" mitgenommen und durfte sie erfreulicherweise mit auf die Zelle nehmen. Dazu hatte ich einige Briefe zu schreiben und das Tagebuch. Das fühlte sich dann zeitweise an wie eine kurze Einkehr in einem alten Kloster – dort heißen die Zimmer ja auch Zelle!

In den Tagen vor dem Haftantritt hatte ich viel ermutigende Post erhalten, was meinen Gang an diesen Ort sicherlich leichter machte. Erfreulicherweise wurde ich von mehreren Menschen zum Haftantritt begleitet und am Samstagmorgen in aller Frühe von 25 FreundInnen – mit Trompetenklängen – wieder abgeholt. Die Hamburger Regionalgruppe der Kampagne X-tausendmal-quer zeigte sich sehr solidarisch und engagiert. Und selbst in dieser kurzen Zeit im Gefängnis erhielt ich eine Menge Briefe und Postkarten, zum Teil von Menschen, die ich gar nicht kannte, die irgendwie davon erfahren hatten. Das war sehr bestärkend für mich!

Und andererseits ist es ein Unterschied, ob mensch als BesucherIn ins Gefängnis geht, wie ich das vor vielen Jahren in den USA und Heidelberg häufiger getan hatte, respektiert von allen, oder ob ich als „Insasse“ dort bin. Die SchließerInnen sehen mich zunächst als einen „Kriminellen“ an. In der Welt des Gefängnisses bin ich einer von „denen“, von den „anderen“, den Gefangenen. Die Gefangenen sehen mich zunächst als einen der Ihren und dann vielleicht als einen Verrückten, der freiwillig an diesen Ort kommt. Und es macht schon einen Unterschied, ob ich das Gefängnis nach einem Besuch von ein paar Stunden verlassen kann oder ob sich die Tür hinter mir schließt und ich keinen Schlüssel dafür habe... So stellte ich mir auch vor, länger, lange hier zu sein, und dann kamen eine Menge beklemmender Gefühle auf: 23 Stunden Einschluss auf der Zelle und eine Stunde Hofgang, falls das Wetter es zulässt, sind hier die Regel. Ich hatte kaum Kontakt mit Menschen: Das Essen wurde im Eiltempo ausgeteilt, die Begegnungen an der Zellentür waren geprägt von Distanz, abweisendem und manchmal schroffem Ton. Einmal sollte ich kein Essen erhalten, da ich „nur“ in dicken Socken an der Tür stand statt in Schuhen: „Sie müssen vollständig angezogen sein!“ Die Zelle selbst: Eine öde Umgebung, ein Ort der Verwahrung. Meine Einzelzelle war zwar hoch - ca. 3,50 m – und lang, dafür aber schmal wie ein Schlauch. So musste ich mich bei meinem Körpergebet "Kleine Umkehr" immer wieder hin und her drehen, um alle Bewegungen machen zu können, da ich mit den Händen entweder an die Wand stieß oder das Bett im Weg stand. Ohne Kunstlicht war es recht dunkel in der Zelle, da das doppelt vergitterte Fenster erst auf 2 m Höhe beginnt und gegenüber ein hohes Gebäude steht. So war der Himmel nur an die Wand gelehnt und nach schräg oben schauend zu sehen, weiter links dann ein paar Bäume hinter der hohen, Nato-Draht-Bewehrten Gefängnismauer. Und: es passierte im Grunde nichts. Wenn ich eine Stimme hören wollte, musste ich mit mir selber sprechen oder ein Lied singen. Ein Leben wie im Vakuum.

Zum Glück gab es den Hofgang, auch wenn mich ein Beamter davon abschrecken wollte: „Da sind dann aber andere Verbrecher als sie, richtige, Mörder, Diebe, Einbrecher – wollen sie das wirklich?“ Niemandem war anzusehen, weshalb er da war, und niemand schien darüber zu sprechen - außer mir... Ich war froh über die Möglichkeit, an der frischen Luft zu sein und mich zu bewegen. Beim zweiten Mal hatte ich mich auch schon daran gewöhnt, im Kreis zu gehen, immer links herum wie im Stadium. Ich drehte meine Runden mit einem jungen Mann von 21 Jahren, der sehr plötzlich in Haft genommen worden war und sich immer noch zurechtfinden musste. In einer Stunde gingen wir beide gut 4 - 5 Kilometer auf einem Areal von vielleicht 20x20 Metern.

Ein persönliches Fazit: Ich fand es hilfreich, Projekte zu haben (Bibel lesen, Singen, Tagebuch und Briefe schreiben usw.). Ich wartete nicht einfach darauf, wieder raus zu kommen.

Noch wichtiger war für mich, zu wissen, warum ich „einsitze“: Für mich war es gut und richtig, diese Zeit im Gefängnis zu verbringen. Ich war mir meiner Sache sicher. Dies umso mehr, als ich bei meiner Entlassung von den Unfällen in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel erfuhr, die –   Ironie des Schicksals – zeitgleich zu meiner Inhaftierung passierten. Erfreulicherweise brachte die Tageszeitung (taz) am 29.6. in ihrer Nordausgabe auf derselben Seite den Bericht vom Brand im AKW Krümmel und ein „Porträt“ über mich und unsere Aktion mit dem Titel „Der Quersitzer“.

Ich erlebte meinen Aufenthalt im Knast auch als eine Zeit der Solidarität mit Menschen aus unserem Haus, die in Deutschland Abschiebehaft oder im Heimatland Schlimmeres erdulden mussten, und mit meinem Freund Tony, den ich seit 20 Jahren in den USA im Gefängnis besuche. Nach dieser Erfahrung bin ich umso mehr bewegt davon, wie Tony sich an solch einem Ort seine Menschlichkeit und seine Hoffnung bewahren kann.

Und ich erlebte am eigenen Leib, dass Gefängnis eine Konsequenz ist, die ich nicht zu fürchten brauche. Im Vergleich zu dem persönlich hohen Risiko, das Menschen in vielen anderen Ländern für ihren Widerstand auf sich nehmen, sind die Folgen in unserem Land doch noch recht überschaubar – sogar, wenn es eine Zeit im Gefängnis bedeutet.

Und es war schön, so viel Unterstützung zu erfahren und auch Aufmerksamkeit für die Sache zu erzielen. So wusste ich im Grunde immer, dass ich nicht alleine bin und dass sich andere Menschen wiederum von mir bestärkt fühlten, ihre eigenen Schritte zu gehen.

Das macht Mut zum Weiterzumachen. Denn die Sache scheint noch nicht erledigt zu sein, besteht die Staatsanwaltschaft doch auch auf der Begleichung der Gebühren von ca. 200 € - die jetzige Erzwingungshaft bezog sich nur auf das Bußgeld von 100 €!). Mal sehen, ob das nochmals Haft bedeutet – wir halten Sie und Euch auf dem Laufenden.

Und auch wenn wir Euch und Ihnen damit vielleicht auf die Nerven gehen: Mit dem Atomausstieg können wir alle sofort beginnen. Darum Stromwechsel jetzt zu ökologischen Anbietern und verantwortungsbewusster Umgang mit Energie (www.atomausstieg-selber-machen.de) !

Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe bedachter und engagierter BürgerInnen die Welt verändern kann; tatsächlich ist es die einzige Möglichkeit.“ (Margaret Mead)



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