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Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer

von Ruth-Alice von Bismarck / Juni 2001

Im Mai war unsere Freundin Ruth-Alice von Bismarck zu Gast. Sie hat in einem spannenden und beeindruckenden Vortrag Erinnerungen an ihre Schwester Maria von Wedemeyer und Dietrich Bonhoeffer mit uns geteilt. Ruth-Alice von Bismarck ist die Herausgeberin der sogenannten "Brautbriefe" dieser beiden, der Briefe also, die Dietrich und Maria sich in ihrer Verlobungszeit geschrieben haben, als Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis auf das Todesurteil wartete. In ihrem Vortrag, den wir hier in Auszügen wiedergeben, erzählt Frau von Bismarck aus ihrer Sicht von der Persönlichkeit der beiden und zieht dabei immer wieder auch Parallelen zu Dorothy Day.

 

Ihr Fremden-Freunde hier bei Brot & Rosen. Ich danke Euch dafür, dass Ihr da seid und ich danke Euch für das Stück Zuhause, das ich ganz kurz nach dem Tod meines Mannes bei Euch gefunden habe. Erst kommt das Fühlen und dann kommt die Erkenntnis. Ich fühlte irgendeine Zusammengehörigkeit mit Euch und langsam komme ich auf die Schliche, wie das zusammenhängt.

Ich verstehe besser Euren Hintergrund und Eure Herkunft. Ich habe eine Geschwisterlichkeit zwischen Dorothy Day und Dietrich Bonhoeffer entdeckt. Vieles in ihrem Leben war kontrovers und komplementär, aber da war eine starke gemeinsame Linie: eine Loslösung von christlichen und weltlichen Ideologien und elementare Erfahrungen mit einem Neues schaffenden, neu ins politische Leben eingreifenden Gott. "Schaffe uns und diese Welt neu." Und ich möchte ganz frech hinzufügen: "Schaffe auch dein eigenes Bild neu." "Es muss endlich mit einem alten Gottesbild aufgeräumt werden", schreibt Dietrich in einem seiner letzten Briefe an Eberhard Bethge. Und nun dieser ungeheuerlich spannende Prozess - auf welchem Wege geht das vor sich? In einem solchen Prozess stecken wir alle drin.

Auch Dorothy Day wuchs ein Partner zu, damit sie einander zur Vollendung des Werks halfen. Auch Peter Maurin war 20 Jahre älter. Dietrich war genau doppelt so alt wie Maria, als sie sich 1942 nach der ersten Begegnung in der Kinderzeit wiedersahen. Die Verlobungsgeschichte war deswegen kompliziert, weil Maria einerseits so stark in ihrer Familie noch ruhte - wir waren eine Familie mit sieben Kindern - andererseits aber diese Eigenständigkeit hatte. Sie war die Weltlichste unter uns.

Die schriftliche Verlobung hatte im Januar '43 stattgefunden. Es war vorausgegangen, dass Maria ihren sehr geliebten Vater verloren hatte und ebenso ihren auch sehr geliebten Bruder. Sie war in einer sehr angeschlagenen und vereinsamten Verfassung, in die Dietrich hineinkam. Aber er war auch ein sehr scheuer Mensch, der sich ja eigentlich für das Zölibat entschlossen hatte. Die Mutter, die das heiße Herz ihrer Tochter kannte, verbot vorläufig das Sehen und Schreiben, und erlaubte es nur, wenn es unbedingt nötig war. Stattdessen schreibt Maria Briefe an Dietrich in ihrem Tagebuch. Er hat es nie gesehen. Ich habe das versiegelte Tagebuch zum ersten Mal wieder aufgemacht. Im Januar hat sie sich verlobt, und am 5. April kommt Dietrich ins Gefängnis. Es sind also gerade 21/2 Monate dazwischen - und auch ihre überlegungen in dieser Zeit, ob das eigentlich mit diesem Manne das Richtige ist. Sie fühlt schon, es ist so, es kommt auf sie zu, unweigerlich. (...)

Am 5. April wird Dietrich verhaftet, Maria weiß es nicht. Sie schreibt aber in ihr Tagebuch: "Ist wieder etwas Schlimmes geschehen? Ich glaube, dass es etwas sehr Schlimmes ist." 14 Tage später wird ihr Bruder konfirmiert, und da kommt ein Onkel zu Besuch und bringt die Nachricht von seiner Verhaftung mit. Gerade hatte sie sich entschlossen, gegen alle Widerstände Dietrich zu sehen. (...)

Eines Tages saß ich in der kleinen Kapelle in Finkenwalde. Es war das Jahr 1936, das Predigerseminar war gerade erst gegründet worden. Sie hatten sehr wenig Mobiliar, sie hatten wenig zu essen. Aber sie hatten einen ungeheuren Mut, etwas in der Kirche zu bewegen. Dieses Predigerseminar bestand aus 30 Kandidaten, die alle sich schon für die Bekennende Kirche entschieden hatten. Es war der Moment, als Hitler die Kirche so stark herausgefordert hatte. Er hatte einen Reichsbischof eingesetzt und versucht, die Kirche in seine Gewalt zu kriegen. Da wachte sie auf. Und es passierte dieser ungeheuerliche Prozess, dass gerade an diesem Angriff auf das Innerste der Kirche sich der Widerstand entwickelte und plötzlich ein neues Verständnis des Evangeliums erwuchs. Ohne diese Herausforderung wäre das nicht passiert.

Es gab - ich weiß nicht, wie weit Sie orientiert sind - eine "Erklärung von Barmen". Vertreter aller evangelischen Landeskirchen fanden sich zusammen und beschlossen eine Erklärung gegen die von Hitler verordnete Glaubensart der sogenannten "Deutschen Christen". Karl Barth, der Schweizer Theologe, spielte eine wichtige Rolle bei der Formulierung des Glaubensbekenntnisses, das nunmehr die Kirche verteidigte gegen diese fremde Macht, die durch den Nationalsozialismus kam.

Und nun mussten sich die Menschen entscheiden, vor allem die jungen Theologen: Wollten sie bei den offiziellen Konsistorien ihre Prüfung ablegen oder wollten sie sich für die Bekennende Kirche entscheiden und damit für eine unsichere Zukunft?

Fast gleichzeitig mit dieser Gründung des Predigerseminars wurde in unserer Großfamilie ein Entschluss gefasst: Die Großmutter, die damals 70 Jahre alt war, bekam eine Wohnung in Stettin gemietet und es wurden fünf Enkelkinder unter ihre Fittiche gesteckt. Wir konnten auf dem Lande keine Schule besuchen und waren auf Internate angewiesen, die unter Einfluss der Nazis kamen. Und wie wir mit der Großmutter auf Stettin losfuhren, da sah sie plötzlich einen gelb-schwarzen Wegweiser und rief: "Finkenwalde! Da sitzt ein Mann, den muss ich unbedingt kennenlernen!" Binnen kurzem saßen wir in dem Vorortbähnchen nach Finkenwalde und dann umgeben von dem brausenden Gesang der 30 Kandidaten in dieser kleinen Kapelle. Er war wirklich sehr bescheiden eingerichtet, dieser Saal. Es trat ein Mann an das kleine Lesepult, eine etwas untersetzte Gestalt, etwas mühsam über die Glatze gebürstete Haare, blonde Haare, und sehr beherrschende blaue Augen. Und diese blauen Augen konnten einen ungeheuer aufmerksam angucken. In diese Aufmerksamkeit hinein konnte man auch als junger Mensch einfach wagen, etwas zu sagen, was man dachte. Er konnte unheimlich gut zuhören und auch das ernst nehmen, was man sagte.

Es war einfach unglaublich eindrucksvoll, wenn dieser Kerl predigte. Wir waren ja nicht in der HJ, und auf der Straße hörten wir immer, wenn die da sangen "Mit uns zieht die neue Zeit". Und wo war nun unsere neue Zeit? Keines von diesen Enkelkindern hat es je vergessen, dieses Erlebnis, dass hier wirklich jemand etwas Neues sagte. Eine unglaubliche Faszination, die ausging von diesem Mann. Man musste einfach zuhören.

Sehr bald saß dann der Bonhoeffer mit der Großmutter in der Ecke des Gartens und ins theologische Gespräch vertieft. Die Großmutter war sehr früh Witwe geworden (mit 29 Jahren und fünf kleinen Kindern) und hatte angefangen, sich für bedeutende Theologen zu interessieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Binnen kurzem saß an ihrem Mittagstisch in Stettin der Pastor Bonhoeffer, oft begleitet von einigen immer hungrigen Kandidaten. Dann wurde stark diskutiert. Man musste ja viel miteinander reden, weil dauernd wieder etwas Neues passierte, und man musste sich wieder klar machen, wie man jetzt darauf reagieren sollte. Und dann ist mir doch unvergesslich ein Moment - da war das Wohnzimmer der Großmutter mit den blauen Sesseln und es hing da ein lebensgroßes Bild ihres im 1.Weltkrieg gefallenen Sohnes. Dem gegenüber saß dieser Dietrich Bonhoeffer und sagte plötzlich: Ich würde nicht in den Krieg gehen. Das war ein Donnerschlag für uns preußische Kinder, wir waren ja Soldatenkinder. Das Soldatsein war etwas, das mit einer höheren Weltordnung zu tun hatte. Wir wussten, welche wichtige Rolle das Militär für den Aufstieg Preußens gespielt und wie viele Opfer das gefordert hatte. Und jetzt saß da plötzlich ein Mann und sagte: Ich würde nicht in den Krieg ziehen. Nur die Ausstrahlung dieser Persönlichkeit machte uns stumm. Man konnte einfach nichts dagegen sagen, wenn der das sagte. Er sagte das als Christ und er war als Christ überzeugend.

Dietrich kam aus einem sehr kultivierten Bürgerhaus. Es war ein SPD-orientiertes Elternhaus, aber vor allen Dingen ein naturwissenschaftliches, nüchternes und kulturbewusstes Haus, das deutlich kirchenfern war. Er war ein frommes Kind gewesen, schon ganz von klein auf, und das in einer naturwissenschaftlich orientierten Familie. Er hatte einen so starken Draht, eine so starke Verbindung zu Jesus - oder wie man es nennen will -, dass er Neues, das auf ihn zu kam, oft ganz nah an sich heran lassen konnte. Mit 19 Jahren ist er nach Rom gefahren mit seinem Bruder und hat plötzlich das "Mysterium Kirche" in der katholischen Kirche erlebt: Er hat es einfach an sich rangelassen.

In seiner Zeit als Vikar in Spanien war er beim Stierkampf und das hat ihn unheimlich fasziniert: "brutale und animalische Kraft gegen Geist und Intelligenz". In Spanien hat er die Menschen in ihrer ganzen Andersartigkeit erlebt. Er hat Karl Barth sehr hoch geschätzt, aber mit ihm auch seine Schwierigkeiten gehabt: "Ob Karl Barth je im Ausland war?" sagte er nach diesem Spanienaufenthalt.

Dann aber war ein Punkt großer Wichtigkeit für ihn Amerika. Zuerst hatte er gesagt: "Eine Theologie gibt es hier nicht." Dann aber hat er das "social gospel" entdeckt. Und dann fand er eine Kirche in Harlem, eine schwarze Kirche, in der unglaublich lebendige Gottesdienste stattfanden. Da ist er heimlich immer hingegangen, was im Union Theological Seminary nicht gerne gesehen wurde. Er hat sie ungeheuer intensiv erlebt, diese schwarzen Gottesdienste. Er brachte auch Platten mit Spirituals mit nach Hause. Damals fanden wir das "furchtbare Negermusik".

Dann ist er einem Pazifisten, einem Franzosen, begegnet. Und der hat ihm plötzlich die Bergpredigt erklärt, dass man sie wirklich leben kann. Ausgerechnet der Erzfeind. (Er hat ja den 1.Weltkrieg als Kind noch bewusst erlebt.) Plötzlich begegnet ihm ein Franzose und fragt ihn: "Nimmst Du eigentlich die Bergpredigt ernst?"

Es sind immer die Dinge von außen an ihn herangekommen. Auch die Erfahrung des Nationalsozialismus hat in ihm Kräfte erweckt. Sowohl positive wie negative Erfahrungen, die er machte, wurden im Zusammenhang gebracht mit seiner Gottesbeziehung. Dabei kam eine unglaubliche Kreativität heraus: einerseits eine immer gleichbleibende Linie und andererseits ein intensives Reagieren. Z.B. hat er im Berliner Wedding eine Gruppe von jungen Konfirmanden gehabt und hat plötzlich erlebt, was es überhaupt heißt, ein Arbeiterkind zu sein. Das war damals in der Zeit, als diese entsetzliche Arbeitslosigkeit und großes Elend in Berlin herrschte. Ich habe eine Predigt gelesen, wo ihm angesichts dieser jungen Leute klargeworden ist: eine Hoffnung, eine Morgenröte für diese Welt ist das Evangelium.

So war das nachher auch mit der Liebe. Als es mit der Liebe anfing, wurde auch noch mal eine neue Welt für Dietrich eröffnet. Und ich glaube, dass in diesem Augenblick, im Gefängnis, wo er plötzlich ganz auf seine menschliche Existenz reduziert war, noch mal ganz große Erkenntnisprozesse passiert sind.



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