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Gott, Crona und die Kirche

Erstaufnahme-Camp für Geflüchtete auf Samos

von Bärbel Fünfsinn / Mai 2020

Die Theologin, Musikern und Lehrerin Bärbel Fünfsinn lebt in Hamburg.

Seit fünf Wochen bin ich nun von meiner sechsmonatigen Lateinamerikareise zurück und höre nur „Corona“. Corona aus medizinischer, soziologischer, psychologischer, bildungspolitischer, manchmal sogar feministischer Sicht. Und nicht zu vergessen, aus wirtschaftlicher Sicht: Wir stehen kurz vor dem Abgrund! Wir standen auch schon 2015 vor dem Abgrund, als gefühlte Millionen von syrischen Menschen in unser Land kamen. Als Anfang März die Türkei Geflüchtete an die griechische Grenze transportierte, bahnte sich ein weiteres Chaos an. Nun ist es Corona – die „Pandemie“, das „böse Virus“, der „Feind“.

Corona kann jede*n von uns treffen – nicht nur die „Anderen“ in südlichen Ländern, deshalb berührt es uns mehr, deshalb die große Angst und Verunsicherung. Das Virus ist nicht zu sehen, bisher nicht zu kontrollieren und kann töten. Ich leugne nicht die Gefahr und dass es viele in Deutschland existentiell trifft.

Dennoch nervt mich die Berichterstattung in unseren Medien. Wieso kommen die Klimaerwärmung, ein nötiges anderes Wirtschaftsmodell, die erbärmliche Situation der Geflüchteten in Griechenland kaum vor?

Was noch schwieriger für mich als evangelische Christin ist: die vielen frommen Trostworte in den Gottesdiensten, auf den Internetseiten der Kirchengemeinden oder die erbaulichen Sprüche wie „Bleib behütet“, „Ich stärke dich“ in den Schaukästen. Eine Hamburger Gemeinde lässt verschiedene Sänger*innen „You’ll never walk alone“ interpretieren. Ich kann es kaum ertragen. Es sterben jetzt viele alte Menschen allein in Senior*innenheimen.

Was haben wir als Kirche zu sagen?

Was vermitteln die „frommen“, erbaulichen Worte? Und: Ist das alles, was wir zu sagen haben?

Wenn es stimmt, dass viele von uns Angst haben, ist es folgerichtig, dass unsere Kirche mit Botschaften gegen diese Angst nach außen tritt: „Als Christ*innen leben wir nicht aus der Angst.“, „Wir haben nicht einen Geist der Furcht empfangen.“ (2. Timotheus 1,7) (EKD-Homepage zu Corona, Zugriff 25.4.20).

Wenn es doch so wäre! Die große Zahl der beruhigenden, biblischen Worte weist auf unsere Erschütterung hin. Wir sorgen uns um unsere Sicherheit und die unserer Lieben. Das ist berechtigt und menschlich. Dennoch ist mir das zu „dünn“. Die christliche Botschaft ist ebenfalls Protest und Widerstand gegen Unrecht. Sie lädt ein zur Geschwisterlichkeit und Solidarität, besonders mit den „Schwachen“, nah und fern. Davon nehme ich wenig wahr.

Zunächst noch einmal zu dem transportierten Gottesbild. Gott schützt uns nicht vor Corona, oder? Behütet uns Gott? Was ist mit den Anderen? Denen z.B. in den Flüchtlingslagern auf Moria oder in Armenvierteln in südamerikanischen Grossstädten? Gott bewahrt auch sonst nicht die verhungernden Kinder im Sudan oder in Mali. Rettet nicht die Gefolterten in Libyens Gefängnissen. Ebenso wenig hält Gott den Klimawandel auf. Unser Verstand und unsere Erfahrung lehren uns, dass Gott sich nicht durch übernatürliche Aktionen zu erkennen gibt.

Worauf verlassen wir uns dann? Was ist unser Trost und was lässt uns – hoffentlich! – furchtloser sein?

Gottes schwache und starke Macht zeigt sich in Nächstenliebe, in Barmherzigkeit. „Ubi caritas et amor, Deus ibi est“ singen wir im Taizélied. Da, wo Wohltätigkeit und Liebe sind, da ist Gott, da geschieht Göttliches bzw. ganz Menschliches. Ich glaube, dass wir immer in „Gottes Hand“ sind, dass es mehr gibt, als das, was ich sehe: Eine Dimension der Wirklichkeit voll „liebender Güte und Mitgefühl“, so sagen es buddhistische Menschen, Christ*innen sagen „Gott“, eine verletzliche, lockende Macht. Doch das bewahrt mich nicht vor Schmerz und Tod oder Corona. Wir Menschen sind verwundbar. Im Christentum ist das stärkste Bild dafür Jesus von Nazareth, der wie so viele andere Menschen damals unter der römischen Herrschaft am Kreuz starb.

Auf diese Kraft oder Macht können wir uns verlassen, die in und zwischen uns wohnt, die in allen Lebewesen steckt, die auch jetzt in Corona-Zeiten zu erfahren ist. Manchmal überrascht sie uns, z.B. in der fürsorglichen Nachbarschaftshilfe in Hamburger Stadtvierteln.

Krankheiten und Sterblichkeit sind unter uns Christ*innen nicht aufgehoben. Am Ende eines langen Lebens bekämpfen wir sie auch nicht als Feinde. Das Corona-Virus weist uns und unsere den Tod tabuisierende Gesellschaft deutlich auf unsere Endlichkeit hin. Jetzt in dieser „Krise“ und eigentlich unser ganzes Leben lang ist es weise, eine Haltung einzuüben, die die eigene Sterblichkeit annimmt, und darauf zu vertrauen, dass Gott uns „selbst im Tod“ nicht verlässt (Psalm 139).

Die Katastrophe

Der Tod durch das Corona-Virus ist uns in Deutschland jedoch nicht so nah – zumindest bis jetzt, Ende April, nicht. Es sind vergleichbar wenige Menschen gestorben, wenn auch jede*r Verstorbene ein Grund zur Trauer ist. Wir haben eine gute ärztliche Versorgung und einen funktionierenden Staat.

Auf meiner Reise war ich in Nicaragua und Brasilien. Dort leugneten die Regierenden die Gefahr durch Corona und sorgten nicht vor durch entsprechende Maßnahmen.

Sollte das Virus sich weiter in Mittelamerika oder den Armenvierteln in Städten des globalen „Südens“ ausbreiten, werden viele Menschen sterben, da die Gesundheitsversorgung meist miserabel ist. Händewaschen und Abstandhalten kann nicht funktionieren. Der Zugang zu Wasser ist nicht gewährleistet und die Wohnhäuser bzw. Hütten stehen viel zu eng nebeneinander.

Es droht eine Katastrophe für ökonomisch arme Regionen. Für viele Menschen dort ist diese Krise eine weitere in ihrem andauernden Kampf ums Überleben. Denken wir an die Ebola-Epidemien oder an die schreckliche Zahl von 15.000 Kindern, die täglich an Hunger sterben.

Die Katastrophe ist schon da, und zwar für die Mehrheit der Menschen im sogenannten „Süden“.

Solidarität statt Selbstschutz

Der französische Bischof Jacques Gaillot sagte: „Wer bei Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf.“ Dieser Satz ist prophetisch und ein Geheimnis.

Christ*innen und Kirchen sollten sich wie die biblischen Prophet*innen an die Seite der Verwundbaren und ökonomisch Armen zu stellen. Mit ihnen für ihre Menschenrechte kämpfen, z.B. für einen Schuldenerlass, für internationale finanzielle und ärztliche, humanitäre Hilfe – Brot statt Waffen, Masken statt Panzer. Und: Geflüchtete aufnehmen statt sterben lassen! Wir als „christliches Abendland“ können uns doch selbst nicht mehr in die Augen blicken, wenn wir nur 50 Minderjährige aus einem griechischen Flüchtlingscamp aufnehmen. Die Menschen dort haben ein Recht auf humanitäre Behandlung und auf Schutz vor Corona.

Ich vermisse die prophetische Stimme unserer Kirchen in der Öffentlichkeit. Natürlich gibt es sie bei den Hilfsorganisationen, den Flucht- und Gerechtigkeits-Beauftragten und einigen Gemeinden. Dafür bin ich dankbar. Genauso wie für die vielen nichtkirchlichen Organisationen wie Seebrücke, #LeaveNoOneBehind, medico international, Pro Asyl. Sie schreien und lassen nicht nach im Einsatz für die „Armen“. Für mich schreit durch sie „Gott“. ■



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