Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Wenn die Waffen schweigen

Das forumZFD unterstützte sehr die Vor-tragsreise von Osama und Rotem von den CfP (https://cpfeace.org/)

von Osama Iliwat und Rotem Lewin / Februar 2024

Die Combatants for Peace (CfP) sind eine Basisbewegung ehemaliger Kämpfer*innen aus Israel und Palästina, die seit 2006 gewaltfrei für Frieden, Gleichheit und Freiheit in ihrer Heimat zusammenarbeiten. Bei einer Vortragsreise durch Deutschland konnten wir zwei Mitglieder bei uns beherbergen. Renate Clauss aus Hamburg führte ein Interview mit ihnen, das ähnlich in der Zeitung Analyse und Kritik im Februar erschienen ist.

Frage: Wieso habt ihr die Waffen niedergelegt?

Rotem: Aufgewachsen in einem liberal-zionistischen Dorf hörte ich erstmals von Palästinenser*innen im Zusammenhang mit Busexplosionen. Ich verließ den Bus oft schon vor meiner Haltestelle, wenn ich Menschen Arabisch reden hörte. Wir lebten in unserer eigenen Welt und lernten in der Schule nur das, was uns in unserer Welt halten sollte.
In der Schulzeit fuhren wir mit 17 Jahren nach Polen zu den Konzentrationslagern und lernten dort, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können. Der Militärdienst mit 18 war selbstverständlich. Einmal im Jahr wird Jom haZikaron zelebriert, der nationale Gedenktag für alle seit 1948 Gefallenen. Er wird öffentlich begangen, in Schulen und Familien - auch in meiner.
Ich wollte »dienen« und war überzeugt, das Moralischste in meinem Leben zu tun. Beim Militär bekamen ein Freund und ich im Westjordanland den Befehl, Schockgranaten in ein Haus zu werfen. Wir taten es einfach. Später kamen meinem Freund Bedenken, "wir sollten solche Dinge nicht tun" - wieso war ich nicht selbst darauf gekommen?
Während des Studiums lud mich ein Freund zu einem Dialogseminar in Deutschland mit Palästinensern ein. So hörte ich erstmals von palästinensischen Flüchtlingslagern. Sie erzählten von der Nakba, der Vertreibung der Palästinenser 1948 nach Jordanien, Syrien, Libanon. Ich begann zu lesen. Meine Familie, meine Freunde wollten meine Fragen nicht hören. Bei Friedensdemonstrationen traf ich Israelis und Palästinenser, die beide Narrative respektierten. Ich beschloss, zu ihnen in die Westbank zu ziehen. Ich lernte Arabisch und verstand plötzlich die Menschen neben mir im Bus, die über Einkäufe, nicht über Anschläge sprachen.

Osama: Ich habe eine völlig andere Geschichte: Als Kind hörte ich von meiner Großmutter das Wort Nakba. Weil mein Großvater 1948 heimlich nach Jerusalem zurückkehrte, haben wir dort Familie. Als ich zehn Jahre alt war, mussten wir umziehen1. Vor der Schule sah ich jeden Tag Soldaten und Jeeps. Sie sprachen mich auf Hebräisch an. Als ich es meiner Mutter erzählte, sagte sie nicht, »das ist die israelische Armee« - sie sagte »die Juden«. So setzte ich Judentum und Militärs gleich.
Dass die Schule während der ersten Intifada geschlossen wurde, fand ich gut. Tag und Nacht patrouillierten Soldaten durch die Straßen. Ich hörte im Bett Schüsse und hatte Angst. Als ich 14 Jahre alt war, nahmen sie meinen Vater mit. Ich beschloss nachts mit Freunden Graffiti zu sprühen, »Free Palestine«. Das ärgerte die Soldaten, meine kleine Rache. Aber wir wollten eine palästinensische Fahne herstellen – nur wussten wir nicht, wie sie aussah. Wir hängten sie verkehrt herum auf, aber es war ein gutes Gefühl. Ein paar Tagen später holten bewaffnete Soldaten meine Freunde und mich nachts ab. Wir wurden in Administrativhaft genommen.
Freigelassen schloss ich mich voller Hass dem Widerstand an und wurde verhaftet, aber wegen des Oslo-Abkommens vorzeitig entlassen. Nach dem Abkommen hatte ich das Gefühl, dass sich etwas ändert. Ich trat der palästinensischen Polizei bei, um mein Volk und meine Familie zu schützen. Das Abkommen diente Israel: Sie bauten weiter Siedlungen, holten weitere Siedler, nahmen das Wasser, ihre Form von Frieden. Ich verließ die Polizei. In den folgenden sieben Jahren der zweiten Intifada habe ich viele Freunde verloren. Damals wollte auch ich sterben. Aber ich bin noch hier.
Im Winter 2010 nahm mich ein Freund zu einem Treffen mit Friedensaktivisten mit. Ich war gespannt: nette Europäer, mit denen ich mein Englisch aufbessern kann. Aber im Raum trug einer eine Kippa. Ich fragte meinen Freund schockiert, ob er sich im Raum geirrt habe, und ging. Von draußen hörte ich, wie sie über die Besatzung, über die Rechte der Palästinenser, die Siedlungen und Apartheid sprachen.
Ich wollte mehr wissen und nahm an einer Tagung teil, bei der ich mit einem Israeli in einem Zimmer übernachten sollte. Das wollte ich nicht, denn – so dachte ich – wenn ihm etwas zustieße, wäre ich schuld.
Am nächsten Morgen traf ich einen der interessantesten Menschen in meinem Leben: Er hatte sich als Soldat geweigert, ein 12-stöckiges Gebäude in Gaza zu bombardieren, in dem ein Hamasführer vermutet wurde. Er verstand meine Geschichte. Ich hörte zum ersten Mal vom Holocaust. Ich besuchte Konzentrationslager. Wenn man mit Menschen gemeinsam etwas verändern will, muss man ihre Ängste, ihre Traumata kennen.

Frage: Wie groß sind die Combatants for Peace? Wieviele Frauen gibt es in eurer Organisation?

Osama: Wir haben etwa 50 aktive Mitglieder. Combatants for Peace wurde von Männern gegründet, es kamen dann immer mehr Frauen dazu. Es gibt eine Frauengruppe bei den Combatants. Aktuell sind die "CEOs" für beide Seiten eine Israelin und eine Palästinenserin, Esther und Ana.

Frage: Mit welchen Gruppen arbeitet ihr zusammen?

Rotem: Wenn nur wir eine Demonstration organisieren, kommen etwa 600 bis 700 Leute, bei Bündnisdemonstrationen mehrere Tausend, richtig große Demos gibt es beim Alternativen Jom haZikaron, da waren bis zu 15.000 mit uns auf der Straße und 20.000 Follower live im Internet dabei in der Coronazeit. Diese Veranstaltung organisieren wir gemeinsam mit dem Parents Circle, einer Organisation von Eltern beider Seiten, die Angehörige im Konflikt verloren haben. Wir arbeiten auch mit Breaking the Silence, einer Gruppe ehemaliger und aktiver Soldaten, die über die Realität der Besatzung berichten. Am wichtigsten ist uns ein Projekt, das die frisch aus der Armee Entlassenen begleitet – wenn sie die Wirklichkeit in Westbank und Gaza gesehen haben. Diese Leute um die 20 werden die überzeugtesten Aktivisten.
Unsere Schwierigkeit: Viele jüdische Israelis wollen ihre Privilegien nicht aufgeben, sie demonstrieren gegen die Diskriminierung der Palästinenser, aber gehen nicht weiter. Sie lehnen palästinensische Flaggen ab, weil die Flaggen spalten würden, ihnen gehe es um Einheit, nicht um die Besatzung. Israelische Fahnen dagegen sind erlaubt. Ich persö-lich stecke meine Energie lieber in gemeinsame Räume und Aktionen.

Frage: Wie hat sich die politische Situation nach dem 7. Oktober verändert?

Osama: Der 7. Oktober war für alle ein Schock. Israel ist hochgerüstet, hat Milliarden in den Bau von Mauern, Sicherheitssystemen, Kameras sowie Flugzeuge gesteckt und wurde von dem Angriff überrascht. Hamas konnte durchbrechen und töten, entführen und alles Schreckliche tun. Die Armee hielt sie nicht auf.
Ich glaube, dass Palästinenser ein Recht auf Widerstand haben. Aber es ist falsch, wahllos Kinder zu töten, Frauen zu entführen, zu vergewaltigen. Das passiert nicht in meinem Namen.
Die israelische Armee ist zu relativ präzisen Schlägen fähig und kann dadurch Einzelpersonen töten. Jetzt wirft die Armee Tonnen Sprengstoff auf Gaza und trifft die Zivilbevölkerung. Das ist ein Kriegsverbrechen.

Rotem: Auch in der Westbank eskaliert die Gewalt: 400 Palästinenser wurden seither dort getötet, 4.000 Menschen in Administrativhaft genommen; die Städte sind abgeriegelt. In Israel wird zunehmend das Wort »Nazi« für Palästinenser benutzt, denn Nazis zu bekämpfen, gilt in Israel als legitim.

Frage: Was fordert ihr konkret?

Osama: Wir brauchen Schulen, in denen Palästinenser*innen und Israelis gemeinsam lernen und arbeiten sowie sich gegenseitig kennen und verstehen lernen. In Israel gibt es nur wenige solcher Schulen, weil Schüler*innen dann den Militärdienst ablehnen, da es dann passieren kann, dass sie auf ehemalige Mitschüler*innen schießen sollen.

Rotem: Der Westen hat versucht, uns die Zweistaatenlösung zu verkaufen, weil er ein Interesse an einer Militärbasis im Nahen Osten hat. Das funktioniert nicht, wenn 700.000 Siedler im Westjordanland leben. Ohne Rückkehrrecht gibt es für Palästinenser*innen keine Gleichberechtigung.

Osama: Uns ist egal, ob es zwei Staaten, drei Staaten, einen Staat gibt. Wir brauchen einen Ort, an alle sicher und gleich-berechtigt leben können. Und wir brauchen niemanden, der uns sagt, wie wir unseren Konflikt beenden sollen. Und wir brauchen euch, weil wir gemeinsam etwas verändern können. ■

1 Anm.: Alle arabischen Bewohner*innen von Jerusalem, die länger als 3 Jahre außerhalb der Grenzen Jerusalems leben, dürfen dorthin nicht zurückkehren.

Rotem Levin und Osama Ilivat sind am 25. Februar nach Palästina und Israel zurückgekehrt und wir hoffen, dass sie dort "frei, sicher, gleichberechtigt und unter demokratischen Voraussetzungen" ihre Botschaft des gewaltfreien Zusammenlebens verbreiten könnnen.
Hier
kann mensch einen Eindruck von ihrer Botschaft bekommen, aufgenommen am 7. November 2023 in einem Solicafé in Freiburg/Brsg.



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...