Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Ist es Zeit für zivilen Widerstand?

von Judith Samson / Juni 2023

Diesen Titel trug der Workshop unserer Christian Climate Action-Gruppe auf dem diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Für mich habe ich diese Frage vor einiger Zeit mit „Ja“ beantwortet. Bis dahin war es aber ein längerer Weg und das, obwohl ich in einer Catholic Worker-Gemeinschaft lebe, für die diese Form des politischen Protests eigentlich dazu gehört.

Aufgewachsen bin ich in einem gut bürgerlich-katholischen Umfeld in einer Kleinstadt. Dunkel erinnere ich mich an einen Bioladen und einen kleinen Laden für recycelte und plastikfreie Schreibwaren in den 1980er Jahren, die zwar nur einige Jahre überlebten, aber meinen Blick auf alternative Lebensweisen lenkten. Auch dass bei uns zuhause eine WDR-Radiosendung zum Thema „Hausfrauen in Oelde wollen gesünder leben“ aufgezeichnet wurde, hat mich beeindruckt, denn meine Mutter war eine dieser Hausfrauen.

Die 1980er Jahre waren ja die Zeit, in der die Kenntnisse über die drohenden Umweltprobleme bekannter wurden. In dieser Zeit wurden auch die Grünen gegründet, um die etablierte Politik mit diesen drängenden Herausforderungen zu konfrontieren. Gleichzeitig blieb dieses Wissen noch ziemlich abstrakt für mich und viele andere. Denn meine Kindheit und Jugend sind geprägt vom Erleben einer weitestgehend intakten münsterländischen Natur (abgesehen vom Reaktorunglück in Tschernobyl und dem Waldsterben) und deutlich unterscheidbarer Jahreszeiten.

Das alles hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Die Klimakrise, in der wir uns global befinden, wird immer spürbarer. Waldbrände werden in Spanien jetzt ganzjährig erwartet und Italien, immer noch eines unserer Lieblingsurlaubsziele, erlebte im Winter Dürre und jetzt Überschwemmungen. Schon bei einer 1,5 Grad-Erwärmung können Klimakipppunkte erreicht werden. Die Lage ist also recht dramatisch für uns alle. Besonders aber für die Menschen im globalen Süden. Neben Corona und Konflikten hat die Klimakrise für eine drastische Zunahme von Hungertoten geführt. Die UNO glaubt, dass der Klimawandel in Zukunft die Hauptursache für Flucht sein wird. Seit vielen Jahren machen Umweltschutzorganisationen mit Petitionen und Demonstrationen auf diese Situation aufmerksam. Aber „auffallend ist die Schwäche der internationalen politischen Reaktion“ wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si feststellt und benennt klar, dass hier wirtschaftliche Interessen über das Gemeinwohl herrschen.

Das gilt auch für unsere Regierung, die sich z.B. weigert, eine erste einfache und effektive Maßnahme einzuführen, die für alle Länder mit einem gut ausgebauten Verkehrsnetz selbstverständlich ist, ein Tempolimit. Das war für mich der Punkt, an dem ich das Vertrauen in die Politik der derzeitigen Regierung verloren habe. Zugleich war ich schon länger mit Lützerath über die Gottesdienste der „Kirchen im Dorf lassen“ verbunden. Die Kohle in Lützerath abzubaggern, obwohl wir alle wissen, dass wir möglichst sofort auf fossile Energien verzichten müssen und dabei noch wertvollsten Ackerboden zu zerstören, erscheint mir absurd. Und so habe ich mich zum ersten Mal für zivilen Widerstand entschieden, indem ich die dortige Kapelle mitbesetzte. Die dabei gemachten Erfahrungen bestärken mich, dass das jetzt der richtige Weg ist, um Druck auf die Regierung auszuüben, Maßnahmen zu ergreifen, die wirksam der Klimakrise etwas entgegensetzen können.

Erstaunt hat mich dabei der massive Polizeieinsatz mit Polizeikräften aus dem ganzen Bundesgebiet. Und jetzt der Versuch, die „Letzte Generation“ zu kriminalisieren. Während die NSU jahrelang ungestört im Untergrund operieren konnte, wird eine Gruppe, die gewaltfreien zivilen Widerstand leistet, massiv mit staatlicher Gewalt angegangen. Dieses Vorgehen bereitet mir wirklich Sorgen, was den Zustand unserer Rechtsstaatlichkeit und Demokratie angeht – abgesehen von der Sorge um unser aller Überleben, das Maßnahmen erfordern wird, die für viele von uns in dieser konsumorientierten Überflussgesellschaft schmerzhaft sein werden.

Lützerath ist weggebaggert, aber der Widerstandsgeist gegen eine ausbeuterische Politik ist geblieben. Daher habe ich mich Christian Climate Action (die Christ:innen bei Extinction Rebellion) und den Christians4future angeschlossen und habe auch bei der Kirchen-Soliblockade für die Letzte Generation in Berlin mitgemacht. Für viele von uns war das ein krasser Schritt, denn wir kommen aus einem Umfeld, in dem wir eigentlich möglichst wenig irritieren, sondern eher Harmonie und Frieden stiften wollen. Allerdings finde ich inzwischen, dass gut organisierte Straßenblockaden, wie die "LG" sie macht, nur eine kleine, leider notwendige Irritation verursachen im Vergleich zu dem, was wir an „Irritationen“ aufgrund der Extremwetterphänomene erleben (werden). Und das Ziel ist ja eine gerechtere Welt, in der wir friedlicher miteinander leben können, aber das wird in diesem auf Wachstum ausgerichteten System wohl nicht erreicht werden können. Dafür braucht es unser aller Einsatz auf den ver-schiedensten Ebenen, darunter auch zivilen Widerstand. ■



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