Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg |
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Geh aus mein Herz und...
von Dietrich Gerstner / Juni 2023 ... suche Freud in dieser schönen Sommerzeit an deines Gottes Gaben. Schau an der schönen Gärtenzier und siehe wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben...“, so summt es durch meinen Kopf, wenn nun das Wetter endlich sonniger und wärmer wird in Hamburg. Endlich Sommer! Und schon in den letzten Wochen und Monaten gab es eine Menge zum Freuen und Feiern. Da ich in einem großen Haushalt mit vielen Menschen lebe, gibt es fast immer etwas zu feiern, sich zu freuen und dank-bar zu sein. Gefühlt jede Woche gibt es einen Geburtstag im Haus oder eine andere Feierlichkeit, an der wir teilnehmen können. Und dazu noch all die Besuche, die mal mehr, mal weniger lange im Voraus angekündigt werden. Einmal klingelt es an der Tür, nachdem wir gerade das Abendessen begonnen haben, und der Besucher meint „Ich wollte euch überraschen!“. Na, dann, setz dich doch bitte und iss mit uns... Manchmal stehen Namen von Besucher*innen allerdings schon lange im Kalender. Denn wir leben in einem „Haus der Gastfreundschaft“, wie wir unser Gemeinschaftshaus im Gleichklang mit den „houses of hospitality“ der Catholic Worker-Bewegung nennen. Und damit meinen wir nicht, dass unsere Mitbewohner*innen auf Dauer wie Gäste bei uns leben, das hätte einen sehr merkwürdigen Beigeschmack. Nein, damit ist mehr der „Geist“ der Gastfreundlichkeit gemeint, an den wir uns manchmal selbst erinnern müssen, denn selbstverständlich steht die Gastfreundlichkeit manchmal auch in Spannung zum Bedürfnis nach Ruhe, Privatheit oder Schutz. Da mittlerweile weit über 350 Mitbewohner*innen, Freiwillige und ehemalige Gemeinschaftsmitglieder hier im Haus gelebt haben und da wir als kleine Kerngemeinschaft nicht so viele Einzelkontakte pflegen können, ist der Besuch bei uns oft DIE Möglichkeit, einander zu begegnen. So freuen wir uns besonders, dass unsere ehemalige Mitbewohnerin Blanche, jetzt mit Kind und Partner, über Ostern ein paar Tage bei uns verbrachte. Oder Familie Rogers, die hier als Paar und dann mit dem ersten Kind dreieinhalb Jahre unser „Team“ verstärkt hatten, nutzten die Gelegenheit der Durchreise weiter in den Norden gleich zu zwei Besuchen. Erfreulich ist auch, dass wir in den vergangenen Monaten mehrmals Menschen in Not eine Unterkunft bieten konnten, die sie mit neuer Perspektive wieder verlassen konnten. Und auch hier erlebten wir, wie dieser „Geist der Gastfreundschaft“ immer wieder dazu beiträgt, neue Menschen in unsere Hausgemeinschaft zu integrieren und ihnen ein Gefühl von Zuhause und irgendwie auch Familie zu vermitteln, selbst wenn es nur für die begrenzte Zeit von zwei Wochen oder ein paar Monaten ist. Bei einigen Anlässen außer Haus sind wir dann doch gerne dabei gewesen: Aber natürlich ist es nicht die ganze Wahrheit, dass unser Alltag nur aus Feiern und Freude besteht. Manchmal heißt es nur „Warten“, ohne aktuell viel tun zu können. Mehrmals haben Judith oder ich verschiedene Mitbewohner*innen zur Ausländerbehörde begleitet und auch dort ist das Warten die wiederkehrende Grunderfahrung. Um dann vielleicht nur zu erfahren, dass vorher dieser oder jener Zettel hätte ausgefüllt werden sollen, anstatt dass diese Informationen vorab zur Verfügung gestellt werden. Und während wir mitwarten, können wir die Situation all der vielen anderen Geflüchteten bezeugen, denen es ebenso geht und die regelmäßig von solchen Abläufen in ihrem Leben ausgebremst werden: Du lebst für Monate oder Jahre in einer Unterkunft, die entweder in einem industriellen Gewerbegebiet oder in einer abgelegenen Idylle ohne direkte Verkehrsanbindung liegt, du brauchst Stunden für den Weg zu Behörden und zurück und musst dann noch bei Nacht befürchten, dass in deiner Unterkunft nächtliche Abschiebungen mit viel Getöse passieren, die dich und deine Kinder in Angst und Schrecken versetzen, wenn du nicht sowieso selbst davon betroffen bis.... Da sind sie auf einmal, dunkle Wolken und Bedrohungen, die für mich auch zum Juni gehören: Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnert daran, dass Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Das Flüchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen veröffentlicht dann den jährlichen Bericht „Global Trends“, der die weltweit dramatische Situation in nüchterne Zahlen fasst. Aktuell sind weit mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht – dies ist die größte Zahl an Vertriebenen, die je registriert wurde! Und kann ich überhaupt noch unbeschwert „schönes Wetter“ genießen, bedeuten doch längere Sonnenzeiten damit auch Trockenzeiten, wo es doch in Südfrankreich, Spanien oder im Westen Kanadas so sehr an Wasser mangelt und schon jetzt gigantische Waldbrände wüten?! Da bleibt mir das Singen manches Mal im Halse stecken. Und dann erinnere ich mich an Paul Gerhardt (1607-1676), den Lieddichter der obigen Zeilen, und an sein von schweren Schicksalsschlägen geprägtes Leben. Er, der den 30-jährigen Krieg erlebte und viele seiner Kinder zu früh verlor, hätte allen Grund zur Verzweiflung gehabt. Und dennoch dichtete er diese zuversichtlichen Zeilen und viele mehr davon. Dennoch glaubte er an eine höhere Gerechtigkeit. Von seinen „Dennoch“ haben sich wiederum unzählige Christ*innen trösten und ermutigen lassen. Und so wollen auch wir bei Brot & Rosen unsere Hände nicht in den Schoß legen und verzweifeln, sondern beten und setzen uns weiter aktiv für Menschenrechte und Flüchtlingsschutz ein, vernetzen und bestärken uns mit Gleichgesinnten und freuen uns dennoch an Gottes guter Schöpfung und helfen sie bewahren. ■ |
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