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Ansichten eines politischen Narren...

von Wolfgang Lenk / Oktober 2023

…aus dem Tagebuch eines Gottesfreundes. Wolfgang Lenk, pensionierter Pastor und ehemaliger geistlicher Begleiter von Dietrich schickte diese Worte als Brief an seine Freund*innen. Er versucht damit, für sich einen „Standort“ in diesen unerträglichen Kriegszeiten zu formulieren. Wolfgang Lenk will wahrnehmen, in welcher Welt er lebt und stellt sich damit auch die Frage, an was für einen Gott er eigentlich glaubt.

Ja, es "ist leider Krieg" - nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Israel - "und ich begehr nicht schuld daran zu sein" (Claudius).

Erschreckend schnell ist die Grundeinsicht der Kirchen nach dem 2. Weltkrieg (Weltrat der Kirchen 1948) verblasst: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein."

Es kann nicht Aufgabe von Kirchen oder Religionen sein, den Krieg – irgendeinen Krieg – als Gottes Willen zu erklären! Wo aber stehe ich als Christ, unabhängig von kirchenamtlichen Äußerungen?

Wo aber stehe ich als Christ, unabhängig von kirchenamtlichen Äußerungen?

"Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht.
Von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht.
Wenn dein Haupt wird erblassen im letzten Todesstoß
alsdann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß."

Gibt Paul Gerhard in seinem Passionslied einen klaren Hinweis auf den christlichen Standort?

In Christus identifiziert sich Gott gerade mit den Opfern der Gewalt und bittet für die Täter*innen: "Vater vergib ihnen. Sie wissen nicht, was sie tun!"

Für mich ist Gott nicht mehr, "der alles so herrlich regieret" - von oben herab, von außen her. "Gott ist, dass wir lieben können." So sagt auch für mich zutreffend die Theologin Dorothee Sölle. Gott ist für mich die innerste Lebenskraft und Liebesspur in allem Leben. In Christus hat er sich unübersehbar als der gezeigt, der in den "geringsten Schwestern und Brüdern" leidet und unsere Zuwendung sucht. Dafür steht der gekreuzigte Christus. Dafür ist Christus auferstanden, dass wir nie mehr vergessen: Die Liebe ist nicht tot zu kriegen, auch wenn sie in jedem neuen Krieg unter die Räder und Ketten und Raketen-Einschläge kommt: "Gott ist, dass wir lieben können."

Das Gebet aus den Tagebüchern der Jüdin Etty Hillesum auf dem Weg aus der Freiheit in das Vernichtungslager Auschwitz dient mir wie ein Kompass:

"Es sind bange Zeiten, mein Gott. .... Ich muss dir eines versprechen, Gott, nur etwas Geringes: ... Ich werde dir helfen, Gott, dass du in mir nicht schwindest, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Aber dieses eine wird mir ständig deutlicher: dass nicht du uns helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und durch dieses Letztere uns selber helfen. Es ist das Einzige, worauf es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir auch daran mitwirken, dich in den heimgesuchten Herzen anderer aufzugraben."

Kann ich als Christ - auch in Kriegszeiten - noch an einer anderen Stelle stehen als bei den leidenden und geschundenen Menschen?

Das Kreuz war für die ersten Christ*innen Zeichen des Sieges der göttlichen Liebe und Lebenskraft über alle Bosheit und Gewalt – über den Tod. Symbolisch wie politisch ist es unter Kaiser Konstantin zum Zeichen militärischer Macht und sonstiger Überlegenheit pervertiert worden. Dieser Verrat hat die Christenheit vergiftet, ihr jedoch den Rang einer Staatsreligion verschafft, die christliches Bewusstsein bis heute tief prägt.

Kirchen können Waffenlieferungen und militärische Aktionen für die eine oder andere Seite als gut und notwendig bezeichnen. Sie tun dies als Staatsreligion – immer gemäß der Seite der Front, auf der ihr Staat nun einmal steht, wie auch jetzt unübersehbar im Ukrainekrieg. Aber sie haben damit den Weg und den Geist Christi und Gottes verraten, der zwischen den Fronten leidet – und mit jedem zum Feind erklärten Menschen im eigenen Herzen "schwindet". Wenn Kirchen Kriegshandlungen rechtfertigen können, sprechen sie mit mehr oder weniger kluger politischer Vernunft – nicht aber im Namen des Gottes, der sein innigstes Wesen in Jesus Christus gezeigt hat. Sie sprechen als Staatsreligion.

Eine auf Christus und sein Werk und Wesen gegründete Gemeinschaft kann nicht erst nach dem Ende eines schrecklichen und unmenschlichen Krieges als erstes und letztes Wort sagen: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein."

Sollte ich in eine Situation kommen, die mich zwingt, Gewalt mit meiner begrenzten Macht entgegen zu treten, will ich doch nie vergessen: Gott ist in den Opfern jeder Gewalt – auch in den Opfern meiner Gewalt! "Vater vergib" und lass mich sehen, was ich tue! Ja, es gibt eine Tragik, der sich niemand entziehen kann. Dies gilt vor allem für Menschen, die wie unsere (Groß-)Väter meinten, als Soldaten ihre Pflicht dem Staat gegenüber erfüllen zu müssen. Entscheidend ist auch dabei: Wo stehe ich? oder wenigstens: wohin kehre ich zurück aus allen Zwiespältigkeiten und Verworrenheiten des Lebens?

"Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht!"

Das vermisse ich am Wort der Kirchen zu den aktuellen Kriegen: Es spricht nicht mit der Leidenschaft eines Paul Gerhard für den Platz an der Seite des leidenden Christus in allen Opfern der Gewalt auf allen Seiten. Es stellt sich nicht – oder wenigstens kaum erkennbar – zwischen die Fronten.

Ich brauche keine Kirche als Verstärkerin der öffentlichen Meinung. Ich brauche sie als Wegweiserin zu dem Gott, der "die Liebe" ist, damit ich "in ihm bleiben" kann und "er in mir" – allen Schrecken und Grausamkeiten dieser Welt zum Trotz. ■



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