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Friedenspolitischer Impuls
von Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach / April 2023 Zum Gedenken an die Theologin Dorothee Sölle, die vor 20 Jahren starb, fand am 28. April in Hamburg ein Politisches Nachtgebet statt. Im Rahmen des für diese Nachgebete typischen Dreischritts „Information – Meditation – Aktion“ hielt die Friedensforscherin Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach folgenden Impuls. Brot & Rosen waren als eine der „Aktionsgruppen“ vor Ort präsent. Frieden ist möglich und real – sofern er gestiftet wird. Wenn also etwas ge-tan wird, damit Gruppen und Staaten ihre Beziehungen an das Ideal und die Erfordernisse eines gewaltfreien Zusammenlebens anpassen. Das ge-lingt niemals perfekt, es ist niemals abgeschlossen. Es bleibt daher immer eine Daueraufgabe. Aber die Ergebnisse können beobachtet und überprüft werden. Wenn Friedensstiftung gelingt, Wir brauchen gerade jetzt solche Räume der Ermutigung. Denn wenn die Schwelle zum Krieg überschritten ist, beobachten wir das Gegenteil einer Annäherung an Frieden – dann beschleunigt sich die Abwendung von Frieden. Mit jedem Kriegstag wird es schwerer, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Das gilt in Syrien, im Sudan und eben auch in dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Das gilt auch für die Staaten, die sich direkt oder indirekt am Kriegsgeschehen beteiligen. Auch hier zerfallen Strukturen, die Frieden ermöglichen. Auch Politiker:innen in Deutschland er-fasst nun eine große Ratlosigkeit, die sie nur teilweise hinter markigen Sprüchen und deren Wiederholung verbergen. Als Friedensforscherin kann ich immerhin sagen, was unter den heutigen technologischen Bedingungen nicht funktioniert: einen Aggressor mit Waffengewalt zum Frieden zu zwingen. Es kann zwar sein, dass er den Krieg verliert, aber Frieden entsteht daraus nicht. So viel kann man wissen. Als Friedensforscherin kann ich auch sagen, wie man am jeweiligen Ort und mit unterschiedlichen Mitteln versuchen kann, Fäden zu knüpfen, die Friedensprozesse auslösen. Möglichkeiten zu einem Anfang gibt es immer. Es ist dann wie mit dem Mond. Auch wenn man ihn wegen schlechter Beleuchtung durch die Sonne nicht sehen kann, ist er da. Aber man muss von ihm etwas mehr wissen, als man sieht. Das gilt auch für Frieden. Fünf Vorschläge möchte ich dazu machen: 1. Nutzen wir unsere Freiheiten. In der Ukraine ist Krieg. Aber wir in Hamburg sind nicht im Krieg. Wir haben also vergleichsweise sehr große Freiheiten, eine Kultur des Friedens aufrecht zu erhalten, neu auszuprägen und Tag für Tag Friedensannäherungen zu leisten. 2. Werfen wir ein Licht auf Gemeinsamkeiten. 3. Beachten wir, dass Menschen sich vor Friedensverhandlungen fürchten. Ich habe erst im vergangenen Jahr begriffen, dass die Forderung, Verhandlungen aufzunehmen, Angst erzeugen kann, die wirkmächtig ist, die politisch missbraucht werden kann, die aber auch Gründe hat. Oft scheint es, als ginge es bei Verhandlungen um Vorgänge wie in einem Wirtshaus, wenn zwei Streithähne versuchen, einander über den Tisch zu ziehen. So etwas kommt vor – wenn der Wirt und die Gäste die Streithähne allein lassen oder wenn Wirt und Gäste die Streithälse gar anfeuern. Auch in der Politik kommt das vor. Bei den Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban ohne Beteiligung der afghanischen Regierung ist so etwas Ähnliches 2021 geschehen. Die Sorgen in der Ukraine vor einem ähnlichen Ausgang sind nachvollziehbar. Wir müssen sie ernst nehmen. 4. Werfen wir deshalb ein Licht darauf, wie Verhandlungen vor destruktiven Verläufen geschützt und zu echten Friedensverhandlungen werden können. Dazu sind vielfältige Ansätze notwendig. Sie werden in der Charta der Vereinten Nationen unter der Bezeichnung „Friedliche Streitbeilegung“ zusammengefasst. Zu ihnen gehören Vorsondierungen und Vermittlungen mit vielen staatlichen und nichtstaatlichen Gruppen. Zu ihnen gehören auch die Entwicklung geeigneter Kommunikationsformen sowie Friedensbildung für alle; und schließlich die problemorientierte Zusammenarbeit in Detailfragen. Einige dieser Bemühungen verlaufen auch jetzt erfolgreich. Das Getreideabkommen, der Schutz von Atomkraftwerken, der Gefangenenaustausch und die humanitäre Hilfe sind Beispiele dafür. Sie bilden Oasen inmitten von Krieg und Gewalt. Und sie können ausgedehnt und verbunden werden. Aus diesen zunächst kleinen Erfolgsgeschichten lernen wir auch, was internationale Diplomat:innen wirklich brauchen, um Friedensverhandlungen erfolgreich zu führen: Sie brauchen dazu einen Auftrag. Den erhalten sie nur, wenn es ein politisches Umfeld gibt, das von allen Beteiligten verlangt, zu einem Ergebnis zu kommen, das umsetzbar ist und das die Würde und das Leben von Menschen wie ihre Umwelt schützt. 5. Der fünfte Punkt betrifft jede:n von uns: Machen wir selbst einen Anfang. Obwohl es gegenwärtig nicht opportun ist, von Frieden zu sprechen, kommt es jetzt darauf an, ein politisches Umfeld zu schaffen, in dem Friedensverhandlungen gedeihen, weil dies gewollt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass es gelingt, friedensorientiertes Denken, Sprechen und Handeln kenntnisreich in Gang zu halten und zu verbreitern. Auf diese Weise werden politische Bemühungen unterstützt, die es im Schatten der öffentlichen Debatte auch gibt: In den Vereinten Nationen, in ihren Unterorganisationen, in vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, in Kirchen und Religionsgemeinschaften und in vielen transnational sowie lokal wirksamen Friedensinitiativen – auch in der Ukraine. Ein großes Vorbild für mich ist die Initiative der Frauen im Donbas, die mit der heutigen Kollekte unterstützt wird1. Diese Frauen schaffen es seit 2016 trotz Krieg, sich lagerübergreifend über ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen der Situation zu verständigen. Sie geben einander die Kraft, um sich der Propaganda zu entziehen, sie entgiften die Kommunikation und lenken den Blick auf das, was in ihrer Situation für ein menschenwürdiges Leben wesentlich ist. Annäherung an Frieden geschieht, Uns zu bewegen, heißt daher auch, das Gespräch über Gewaltvorbeugung, Gewaltminderung und Konfliktbewältigung in den Quartieren und Gemeinden zu suchen, in denen sich Menschen mit unterschiedlichen Kenntnissen, Positionen und Ängsten treffen. Frieden darf auch und gerade angesichts von Krieg und Gewalt kein Tabu werden. „Sprechen Sie miteinander!“, hat der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Kramer, gesagt. Und ich möchte ergänzen: Warten wir nicht auf die angekündigte Friedenswerkstatt der EKD oder gar auf das Ende des Krieges gegen die Ukraine. Beginnen wir gleich jetzt in wenigen Minuten und später bei Saft und Wein – und sprechen Sie miteinander über das, was Ihnen durch den Kopf geht oder zu der Frage: Frieden jetzt! Was heißt es für mich, Frieden zu wollen und mich dafür einzusetzen? ■ Zum Weiterlesen: Hanne-Margret Birckenbach, Friedens-logik verstehen. Frieden hat man nicht, Frieden muss man machen, Frankfurt / Main 2023 1 Women’s Initiatives for Sustainable Peace, Dialogue and Democracy, https://www.owen-berlin.de/projekte/wipd-womens-initiatives-for-peace/ . |
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